Waren Sie auch bei der Krönung?
murmelte: «Uh, diese jungen Leute von heute!»
Clagg sagte: «Junger Frechdachs! Wenn er meiner wäre, würde ich es ihm schon zeigen!»
«Also komm, Lionel! So schalt doch schon um! Es ist höchste Zeit!»
Das Dilemma wurde durch den andern Burschen gelöst, der Lionel einfach zur Seite schob und an dem Knopf des kleinen Kastens drehte. Wiederum ließ sich die verhaltene Stimme des Kommentators vernehmen. Als er sagte, daß der Augenblick der Krönung nahe sei, rückten alle Umstehenden näher heran.
Und weit entfernt in der Abtei krönte der Erzbischof die Königin. Als er die reich mit Edelsteinen gezierte, schwere Krone auf das hellbraune Haar des leicht gebeugten Hauptes setzte, gab er damit das Signal zu einem Glockenläuten und Dröhnen von Salutschüssen, das in den fernsten Teilen der Erde zu hören war.
Dieser Augenblick gehörte dem Priester, dem Mittler zwischen Gott und Menschen, dem Erzbischof von Canterbury, dessen Aufgabe es war, die geistliche Macht auf ihr weltliches Instrument zu übertragen und die Salbung der Königin als Gottes Repräsentantin in ihrem Reich zu vollziehen.
Aber es war gleichzeitg auch die Geste und Handlung eines edlen, gütigen Menschen, eines alten Mannes, der die Schwächen des Körpers wie des Geistes kannte und verstand. Die goldene St. Edwards-Krone war schwer, unförmig und mühsam zu tragen. Sie konnte durch ihr Gewicht schmerzhaft auf Hinterkopf und Stirne drücken.
Fast schien es unmöglich, daß so viel in einer einzigen eleganten und einfachen Gebärde vereint werden konnte, die gleichzeitig väterliche Sorge und die ehrfurchtgebietende Symbolik majestätischer Hoheit ausdrückte. Er war mit behutsamer Überlegung auf ihre Würde bedacht: die Krone war zu schwer für das kleine Haupt, sie konnte leicht umkippen und mußte mit solchem Gefühl für Gleichgewicht aufgesetzt werden, daß sie nicht gleiten oder sich verschieben oder während der langen, anstrengenden Zeremonie, die noch folgen sollte, irgendwie ihre Lage ändern konnte, ehe sie schließlich entfernt würde.
Und als er das schimmernde Symbol auf ihren Kopf gesenkt hatte, hielt er es noch einen Augenblick fest, um sich zu vergewissern, daß es bequem, verläßlich und sicher auf ihrem Haupte ruhte. Man fühlte geradezu, daß das Herz des alten Mannes von Kummer darüber erfüllt war, daß eine solche Last der Verantwortung auf einen so jungen Menschen, eine so schicksalsschwere Erbschaft auf eine so zarte und gebrechliche Frau übertragen werden solle. Er verlieh ihr Größe — und gleichzeitig endlose Sorge.
Dann löste er mit einer grandios-väterlichen Bewegung seine Hände und trat zurück. Der große Akt der Krönung war vollendet.
Das scharfe Knallen der Salutschüsse, die von den im nahe gelegenen Hyde Park aufgestellten Feldgeschützen abgefeuert wurden, ließen alle zusammenzucken. Den Salven folgten als Echo die fernen Kanonenschüsse vom Tower. Glocken läuteten und bimmelten wild in allen Richtungen.
Will Clagg sah auf seine Uhr. Es war 12 Uhr 32. Die Kanonen und das Glockenläuten und die lauten Hochrufe der auf der andern Seite der Barriere versammelten Menge übertönten das kleine Radio. Er nahm den Hut ab und ließ den Regen auf seinen Kopf fallen. In diesem Moment spielte es keine Rolle, daß er barhaupt hinter der Schranke stand. Er empfand Stolz darüber, daß er zugegen war, und eine in seinem Herzen aufquellende Freude.
Violet Clagg murmelte: «Gott segne sie!» und drückte das nasse Taschentuch, mit dem sie sich vorher die Feuchtigkeit vom Halse gewischt hatte, gegen ihre Augen.
Großmutter Bonner schnupfte und sagte: «Ich wünsch ihr viel Glück!»
Der Menschenhaufen, der das Rundfunkgerät umringte, brach in Hochrufe aus, und Johnny schwenkte seine Fahne. Gwendoline rief: «Vati, kommt sie jetzt? Vati, ich kann nichts sehen!»
«Nein, nein», beruhigte sie Clagg. «Noch nicht Gwenny. Wir haben noch eine Menge Zeit. Wir werden auf dem Posten sein, wenn sie kommt.» Aber er wußte nicht, wie er es anstellen würde.
Großmutter Bonner begannen die Füße in den nassen Schuhen weh zu tun. Die Beine schmerzten ihr vom Stehen. Sie war hungrig. Ihr Haar war triefend naß. Aber sie wünschte, daß es noch heftiger regnen möge und daß sie vor Tagesende noch viel schrecklichere Dinge mitmachen würden, als sie bereits erlebt hatten.
Um nämlich der Wahrheit die Ehre zu geben: sie war höchst vergnügt. Sie erwartete von den Unbilden der Witterung so viele Krankheiten,
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