Waren Sie auch bei der Krönung?
und konnte über sie hinweg auf das verwirrende Kaleidoskop von Farbe und Bewegung auf der anderen Seite blicken.
Von unten ertönten Applaus und Bravo-Rufe: «Gut gemacht! So ist's recht! Wie steht's damit, Bobby?»
Der Polizist stand mit alberner Miene da. Er konnte sich nicht erinnern, daß die Vorschriften etwas darüber sagten. Er wünschte es auch gar nicht. Er war erleichtert, weil er nichts damit zu tun hatte.
Gwenny blickte mit weit offenen Augen auf das ungeheure Menschenmeer mit seiner Gischt von winkenden Taschentüchern, Fahnen und Wimpeln. Ihr kleiner Mund war geöffnet, und ihre blassen Wangen hatten Farbe gewonnen. Einmal hob sie unsicher die Hand und winkte.
Die anderen unter ihr, einschließlich Großmutter Bonner, schrien und jubelten und winkten ganz so, als ob sie die Königin wirklich vorbeifahren sehen und von ihr gesehen werden konnten. Violet Clagg weinte wieder, teils vor Erregung, teils vor Enttäuschung. Bis jetzt hatte sie es nicht glauben wollen, daß an diesem Tag alles so furchtbar und hoffnungslos schief gehen würde.
Clagg hatte sich gestählt, um das Gewicht zweier Personen auf seinen Schultern tragen zu können, aber sein Herz war ganz weich vor Dankbarkeit. So war das von ihm erflehte Wunder wenigstens teilweise zustande gekommen. Er hatte davon geträumt, daß er der Königin huldigen würde, aber ihm war alles mißlungen. Wie ein großer Esel hatte er sich hinter einer Holzwand einsperren lassen. Aber ein Versprechen hatte er gehalten: seiner Tochter war nicht länger die Sicht genommen.
Von ihrem Aussichtspunkt blickte Gwenny einen Moment lang auf Mutter, Großmutter und Bruder nieder. Ihre Augen waren riesengroß und voll Staunen. Die Spuren ihrer Tränen waren noch immer auf ihren Wangen sichtbar, aber sie weinte nicht mehr. Von unten rief einer zu ihr hinauf: «Wie sieht sie aus?»
Das Kind sagte: «Ich hab sie gesehn.»
Eine andere Stimme sagte: «Das ist aber nett. Erzähl uns mehr über sie!» Und irgendwer lachte.
«Sie hat mir zugewinkt», verkündete Gwenny. Sie drehte sich wieder nach vorn, um das Schauspiel zu beobachten, und begann plötzlich wild zu winken, obgleich niemand wußte, wem sie zuwinkte. Die Hochrufe verzogen sich bereits nach Norden längs der Straße, die durch den Hyde Park führt.
«Heda!» rief der Fragesteller unten. «Was ist jetzt los?»
Gwennys Augen waren vor Aufregung jetzt noch größer geworden. Sie rief den Untenstehenden zu: «Da war noch wer, der mir zugewinkt hat, aber sie war dick und ganz schwarz wie mein Topsy.» Jemand erwähnte den Namen der Königin Salote, und es gab noch mehr Gelächter.
In der Erregung des Augenblicks hatten alle Johnny Clagg vergessen, einen kleinen, unansehnlichen Jungen in einem zu langen blauen Regenmantel (die Großmutter hatte gesagt, er solle groß genug gekauft werden, damit er hineinwachsen könne), den der Regen dunkel gefärbt hatte, die durchnäßte Schulmütze auf den Hinterkopf zurückgeschoben. So stand er da, von kleiner Gestalt, zwei Augen, zwei Ohren, eine Nase und ein Mund über einem nassen, farbigen Schal und mußte zusehen, wie seine jüngere Schwester, vom Glück begünstigt, auf einen Aussichtspunkt gehoben wurde, von dem aus sie die Königin und alle anderen Vorgänge betrachten konnte.
Aber er hatte kaum bemerkt, daß Gwenny zum oberen Rand der Schranke gehoben wurde, denn als der Sturm der Hochrufe und das Poltern der goldenen Kutsche das Herannahen der Königin ankündigte, war der Astralleib Johnny Claggs aus seiner Hülle und von der Seite seiner Großmutter und Mutter entwichen. Er war durch die Schranke geschwebt, hatte seine Kleidung gewechselt und ritt jetzt in Küraß und Helm mit Kinnband, einen schimmernden Säbel geschultert, auf einem pechschwarzen Hengst als Hauptmann Clagg von Ihrer Majestät Leibgarde an der Spitze der Truppen, die zum Schutz der Königin die goldene Kutsche begleiteten.
Mit Falkenaugen, alle Sinne — einschließlich des sechsten — dem Anlaß und seiner Verantwortung entsprechend geschärft, war Hauptmann Clagg für jeden Zwischenfall bereit.
Ha! Was war das? Eine plötzliche Unruhe! In der vordersten Reihe der Menge am Straßenrand eine Bewegung! Ein Arm und eine Hand, die einen in der eben durch die Wolken gebrochenen Sonne glitzernden Gegenstand hielt, und darüber ein Gesicht mit zerrauftem Haar, mit wild rollenden Augen und mit von einem gräßlichen Grinsen entblößten Zähnen.
Ein Wahnsinniger! Ein Attentäter! Die Pistole war
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