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Waren Sie auch bei der Krönung?

Waren Sie auch bei der Krönung?

Titel: Waren Sie auch bei der Krönung? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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enttäuschter Johnny Clagg, der wegen nichts und wieder nichts, von Sheffield hierher gekommen war. Er erinnerte sich auch, daß es diesmal keinen Sommerurlaub geben würde, kein Garnelenfischen, kein Bauen von Sandburgen auf dem Strand, keine Forschungsexpeditionen zu den Fluttümpeln auf den Felsen, keine Ringelspiele, überhaupt nichts. Er wandte das Gesicht ab, so daß die andern es nicht sehen konnten, und begann leise zu weinen.
    Der Hufschlag der großen Percheron-Pferde und das Poltern der königlichen Kutsche waren nicht mehr zu hören. An ihre Stelle war Pferdegetrampel und das herbe Rädergeräusch der leichteren Equipagen getreten. Auch die Woge der Hochrufe war zurückgewichen; sie hatte sich längs der Allee des East Carriage Drive weiterbewegt, und man konnte ihr Getöse in der Ferne vernehmen.
    Gwendoline drehte sich um und sagte: «Ich möchte wieder hinunter.» Hilfsbereite Hände streckten sich ihr entgegen. Sie glitt längs dem Fremden und dem Vater nieder, bis ihre Füße den Boden berührten. Dann lief sie zu ihrer Mutter, umschlang sie mit den Armen und vergrab ihr Gesicht in ihrem Rock.
    Der Mann auf Claggs Schultern machte noch keine Miene herunterzusteigen. Statt dessen rief er Johnny Clagg zu: «Heda, junger Mann, wie wär's, wenn du dich mal umsehn würdest?»
    Johnny schüttelte den Kopf und hielt sein Gesicht abgewandt. Er betrachtete es als unter seiner Würde, auf einen Fremden hinaufzuklettern, um auf seinen Schultern zu sitzen. Das paßte für ein so kleines Mädchen wie Gwenny, aber nicht für ihn, und besonders nicht — da er sich noch eines kleinen Restes seines schönen Wachtraums bewußt war — für Lord Clagg, Erster Baron Pudney. Außerdem war es zu spät. Alle Soldaten mußten ja schon vorbeimarschiert sein. Johnny schüttelte mit abgewandtem Gesicht abermals den Kopf. Der Mann legte die Hände auf Will Claggs Schultern und sprang behende zu Boden.
    «Vielen Dank!» sagte Will Clagg und streckte ihm die Hand entgegen. Seine Beine waren durch die Last so ermüdet, daß sie fast zusammenknickten, aber er war von einem solchen Tumult der Gefühle und Dankbarkeit erfüllt, daß er keine Worte mehr fand. Er empfand einen unvorstellbaren Impuls, den Fremden, der mit seiner herungezogenen Mütze und seinem struppigen Schnurrbart so unansehnlich aussah, in die Arme zu schließen und ihn «Bruder» zu nennen. Aber er konnte nur wiederholen: «Vielen Dank!» und dann fügte er hinzu: «Wenn Sie einmal in die Gegend von Little Pudney kommen sollten, bei Sheffield — »
    «Geht in Ordnung», erwiderte der Fremde. «Ich wollte nicht, daß Sie Unannehmlichkeiten haben, da ich merkte, daß Sie aus dem Norden sind.» Er wies mit einer Kopfbewegung auf den Polizisten: «Der Polizei-Tölpel da ist kein Londoner. Es war mir ein Vergnügen.»
    Auf der anderen Seite der Barriere kam die Menge in Bewegung. Die Ausgesperrten horchten auf in der erneuten Hoffnung, daß ihnen im letzten Augenblick vielleicht doch eine Chance gegeben würde, wenigstens das Ende des Schauspiels zu sehen. Ein ganzer Torflügel wurde von innen gerade so weit geöffnet, daß ein Reiter passieren konnte.
    Es war der großartigste, herrlichste, eindrucksvollste Reiter, den Johnny Clagg je gesehen hatte. Er war in eine marineblaue Uniform mit schwarzen Knöpfen und Borten gekleidet, mit schwarzen Streifen auf den Ärmeln. Reihen von Medaillen und farbigen Ordensbändern schimmerten auf seiner Brust, und auf seinen Schultern waren goldene Epauletten. Sein Gesicht, streng, zerfurcht, adlerhaft, erinnerte Johnny an Bilder, die den Herzog von Wellington bei Waterloo zeigen. Sein Haar war silbergrau, und auf seinem Kopf saß ein schwarzer Dreispitz, von dem eine Kaskade schöner weißer Hahnenfedern niederfiel. Er saß auf einer prächtigen weißen Stute mit rosa Nüstern und aufmerksamen Augen. Sein dunkler Uniformmantel hing über die Flanken des Pferdes nieder. Seine schwarzen Stiefel trugen goldene Sporen.
    Johnny sah ihn zuerst durch seine Tränen hindurch als eine Vision und dann, als er sich hastig die Augen gewischt hatte, mit größerer Klarheit als eine strahlende Erscheinung in einer Uniform, die er nicht erkannte, obwohl er sich rühmte, jedes Regiment im Vereinigten Königreich auf den ersten Blick identifizieren zu können. Aber dieser Reiter war kein Ulan und kein Husar, es war kein Dragoner und kein Mitglied der berittenen Leibgarde. In seiner Person und seiner Haltung verkörperte er jedoch alles, was Johnny

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