Warme Welten und Andere
die Luft abzulassen, indem er erklärte: »Ich arbeite nicht, wiederhole, nicht für den CIA, das FBI, NSA, das Finanzministerium, die Drogenbehörde oder die Metropolitan Park Police.«
Wenn wir Informationen nicht-negativer Art über sein Leben haben wollen, müssen wir die sechste Ausgabe (Juni 1971) jenes schätzenswerten SF-Journals aus Baltimore konsultieren, Phantasmicom. Die Herausgeber dieser mimeographierten Publikation, Jeffrey D. Smith und Donald E. Keller, leiteten schon früh eine enge briefliche Beziehung zu Tiptree ein und haben ihm über die Jahre hinweg eine wertvolle Reihe enthüllender Stellungnahmen entlockt. In Phantasmicom 6 ließ sich Tiptree vom Herausgeber Smith interviewen und erklärte: »Ich wurde vor geraumer Zeit in der Gegend von Chicago geboren, als junger Mensch war ich viel im kolonialen Indien und Afrika unterwegs… Ich bin einer von denen, für die die Geburt und das furchtbare Wachstum des Nazismus das zentrale Generationsereignis waren. Daher stammt das meiste, was ich über Politik, über das menschliche Leben, über Gut und Böse, Mut, Willensfreiheit, Angst, Verantwortung und die Dinge weiß, denen man den Abschied geben muß… Und über, ich sage es noch mal, über das Böse. Und Schuld. Eins der wichtigen Dinge, die man von einem Menschen kennen sollte, ist das Gesicht, das ihm in seinen Alpträumen erscheint; für mich ähnelt dieses Gesicht sehr dem meinigen…
Wie auch immer, als ich meinen Teil der Lehre über den Stand der Dinge, wie sie dieses Ereignis erteilte, bezogen hatte – ich war Organisationen beigetreten, zur Armee gegangen, war in den frühen Formen amerikanischer Linksbewegungen herumgeirrt, immer wieder fragend, OB ES AUCH HIER PASSIEREN KÖNNTE (eine Beschäftigung, die ich noch nicht aufgegeben habe); aus der Armee raus, mal in der Verwaltung, mal in der Wirtschaft mein Glück versucht etc. etc. – erkannte ich, daß mein ganzes Leben, meine Fähigkeiten und berufliche Entwicklung, wie sie nun einmal waren, meine Freunde, alles, von diesem Ereignis geprägt worden war und sich ziemlich von dem entfernt hatte, was ich in vager Weise hatte werden wollen.«
Der Mensch, der durch diese autobiographischen Erklärungen hindurch zu ahnen ist, macht auf mich nicht den Eindruck irgendeines Geheimdienstlers, obwohl er durchaus beruflich mit der Washingtoner Bürokratie zu tun haben mag. Tiptree selbst nennt in dem Interview mit Smith mehrere Gründe für seine rigide Trennung von Privatleben und schriftstellerischer Karriere; unter anderem wolle er nicht, daß des Lesers Reaktion auf eine Geschichte von speziellen Kenntnissen über Lebensumstände oder Persönlichkeit des Autors gefärbt werde; und: »zu den Leuten, mit denen ich es zu tun habe, gehören viele Exemplare des vorhistorischen Menschen, für die die Entdeckung, daß ich – O GOTT, SCIENCE FICTION – schreibe, jegliche Glaubwürdigkeit, die ich noch haben mag, zerstören würde«. Aber er beruft sich auch auf eine gewisse Freude am Spiel: »Der letzte Grund meines Versteckspiels ist wahrscheinlich nichts anderes als kindliches Vergnügen. Endlich habe ich, was jedes Kind will, ein wirkliches Geheimleben. Kein offizielles Geheimnis, kein Schluck-dieGiftkapsel-wenn-sie-dich-erwischen-Geheimnis, kein Geheimnis, das jemand anderem gehört, sondern MEINES. Etwas, das DIE ANDEREN nicht wissen. Big Brother soll mich mal. Eine wunderbare, geheime WIRKLICHE WELT, mit wirklichen Menschen, guten Freunden, Vollbringern großer Taten und Sprechern des magischen Worts, und sie schreiben mir und nehmen meine Gaben an, und ich müßte verrückt sein, wenn ich die Tür zwischen dieser magischen Realität und dem universalen Mistgebräu, genannt die wirkliche (schluchz!) Welt, öffnen wollte…«
Also denn: James Tiptree – ein Mann, 50 oder 55 Jahre alt (schätze ich), möglicherweise unverheiratet, der das Leben in der freien Natur liebt, ruhelos in seinem täglichen Leben, ein Mann, der viel von der Welt gesehen und viel eingesehen hat. Das alles sind nur Hypothesen, die sich auf die PhantasmiconArtikel, Tiptrees gelegentliche Briefe und auf die Geschichten selbst gründen, die meiner Meinung nach in Gestalten wie Dr. Ain (der von Flughafen zu Flughafen springt) oder Ruth Parsons (der Frau aus der bemerkenswerten Geschichte ›Die unscheinbaren Frauen‹, die so wenig von ihrem Leben in Washington verrät), stark den wirklichen Tiptree spiegeln. Was aber nicht hypothetisch ist, das ist die Qualität seiner
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