Warme Welten und Andere
in ihm auf, die wie einen Korken seine rationale Überzeugung, daß er im Delirium sei, hinwegschwappte. Er kletterte wieder weiter. Höher. Höher. Die Barriere lag schon fünfzig Meter unter ihm. Er lockerte einen Stein, blickte unter seinem Arm durch, um ihn fallen zu sehen. Er dachte, er hätte ein winziges Aufblitzen gesehen, aber er konnte nicht sehen, ob der Stein an der Barriere abgeprallt war oder nicht. Vögel oder fallende Steine würden solche Funken verursachen, wenn sie auf die Barriere trafen. Das konnte das Schimmern gewesen sein, das er vom Schiff aus gesehen hatte.
Er kletterte. Feuchtes lief an seiner Seite herunter, hinterließ rote Bahnen. Der Schmerz ritt ihn, entschlossen trug er ihn höher. Hände suchen Halt. Ziehen. Füße suchen Halt. Stoßen. Pause. Hände suchen Halt. »Ich bin dem Schmerz sein Reitpferd«, sagte er laut.
Er war jetzt schon geraume Zeit in dichten Wolken, der Wind tobte laut in den Felsen. Aber etwas stimmte nicht mit seinem Körper und seinen Beinen. Sie hingen schwer, wollten sich nicht frei aufheben lassen. Bald sah er, was es war. Die Oberfläche des Felsen war jetzt fast waagerecht. Er kroch jetzt mehr, als daß er kletterte.
War es möglich, daß er das Dach Des Clivorn erreicht hatte?
Er erhob sich auf seine Knie; in dem Nebelwirbel war ihm unheimlich. Neben ihm verschmiertes Rot. Mein Blut vermischt sich mit Clivorns, dachte er. Auf meinen Knien über die Steine. Meine Hände sind schmutzig. Ein kranker Haß auf Den Clivorn durchspülte ihn, der Haß des Sklaven auf das Eisen, den Stein, die an seinem Fleisch scheuern. Die harte, einsame Arbeit… Wer war Simmelweiss? »Clivorn, ich hasse dich«, murmelte er schwach. Hier war nichts.
Er schwankte vorwärts – und spürte plötzlich wieder den zähen Widerstand, das Rütteln und Prasseln, das Nachgeben. Noch eine Energie-Barriere auf Clivorns Dach?
Durch sie hindurch fiel er in stille Luft, taumelte ein Stück weiter, brach dann, das Schweigen hörend, zusammen. An seiner zerrissenen Wange fühlten sich die Felsen wunderbar kühl an. Aber hier, stellte er fest, waren sie durchaus verwittert. Langsam kam ihm, daß diese zweite Barriere von der ersten aktiviert worden sein mußte. Sie war nur hier, wenn etwas die untere durchstoßen hatte.
Dicht vor seinen Augen war eine sehr kleine, geäderte Blume. Ein seltsamer kalter Puls pochte unter seinem Ohr. Clivorns Herzschlag, Harmonien des Sturms außerhalb seines Schutzschilds.
Das wechselnde Licht wechselte weiter, während er da lag. Einige Zeit später war er dabei, die Steine zu betrachten, die um die kleine Pflanze herum verstreut waren. Wasserklare, goldene Kristalle, da und dort zwischen ihnen ein vereinzeltes weißes Stück in der Form eines Horns. Das Licht war sehr seltsam. Zu hell. Nach einer Weile gelang es ihm, den Kopf zu heben.
In dem Dunst vor ihm war ein Leuchten.
Sein Körper fühlte sich an wie auseinandergefallen, und unsägliche Qualen, an deren Ursache er sich nicht länger erinnern konnte, stachen in seinen Atem. Schwerfällig begann er zu kriechen. Er konnte seinen Bauch nicht heben. Aber sein Geist war jetzt vollkommen klar, und er war gerüstet.
Und durchaus nicht überrascht, dort, wo der Nebel sich jetzt verzog, den leuchtenden Korridor zu sehen – oder Pfad eigentlich; denn er war aus wässerigem Steinwerk gemacht, von dem die goldenen Kristalle abgebröckelt waren – der leuchtende Pfad, wo kein Pfad sein konnte, aufsteigend vom Gipfel Des Clivorns zwischen jagenden Wolken.
Der Pfad war nicht lang, vielleicht hundert Meter, wenn die Perspektive nicht täuschte. Eine lila-blaue Farbe strahlte am oberen Ende. Frische floß den Pfad herab, vermischt mit dem Dunstgebräu Des Clivorn.
Unmöglich konnte er jetzt noch da hinaufsteigen… Aber er konnte schauen. Auch Maschinerie gab es, sah er. Ein Apparat von gelatinöser Komplexität, an der Stelle, wo der Pfad mit dem Gestein Des Clivorn verschmolz. Er unterschied eine Art Skalenscheibe, auf der schimmernde Zeichen pulsierten – der Mechanismus, der von seinem Durchgang durch die Barriere aktiviert worden sein mußte und der selbst wiederum diesen Pfad materialisiert hatte.
Er lächelte und spürte, wie sein Lächeln sich an Steinchen scheuerte. Er schien mit seiner Wange auf den goldgelben Kristallen am Fuß des Pfades zu liegen. Die fremde Luft fachte die Glut in seiner Kehle an.
Unverwandt blickte er auf den Pfad. Nichts bewegte sich. Das Lila-Blau, war das Himmel? Es war
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