Warnschuss: Thriller (German Edition)
beleidigen konnte. Gewöhnlich lagen beide gleichauf.
»Verzieh dich, Worley«, sagte Duncan. »DeeDee ist heute Ehrengast. Also benimm dich.«
DeeDee war grundsätzlich im Polizeimodus. Nachdem Duncan inzwischen seit zwei Jahren mit ihr zusammenarbeitete, hielt er es für möglich, dass es für sie gar keinen anderen Modus gab. Selbst heute Abend dachte sie wie eine Polizistin, trotz des Rockes und des Lippenstiftes, den sie sich zur Feier des Tages ins Gesicht geschmiert hatte. »Erzähl Worley, was wir bei dir zu Hause gefunden haben.«
Duncan beschrieb die abgetrennte Zunge. Er deutete auf einen Fleischlappen auf Worleys Teller. »So ungefähr sieht sie aus.«
»Ihh.« Worley schüttelte sich. »Woher wisst ihr, dass sie rechtmäßig Morris gehört?«
»Das ist nur eine Vermutung, aber eine ziemlich naheliegende, meinst du nicht auch? Ich bringe sie morgen ins Labor.«
»Savich versucht dich zu verarschen.«
»Er ist ein richtiger Spaßvogel, ich weiß.«
»Aber dir in deiner eigenen Wohnung zuzusetzen…« Worley ließ den Zahnstocher in den anderen Mundwinkel wandern und stopfte sich den fraglichen Fleischlappen in den Mund. »Das ist irre. Macht er dir Angst damit?«
»Er wäre blöd, wenn er keine Angst hätte«, antwortete DeeDee für ihn. »Stimmt’s, Duncan?«
»Wahrscheinlich schon«, erwiderte er gedankenverloren. Er sann darüber nach, ob er wohl fähig wäre, Savich ohne Gewissensbisse abzuknallen, falls es zum Showdown käme. Wahrscheinlich schon, denn er wusste mit absoluter Gewissheit, dass Savich nicht zögern würde, ihn umzubringen.
Um die Stimmung ein wenig aufzulockern, sagte Worley: »Ehrlich, DeeDee, du siehst heute Abend irgendwie heiß aus.«
»Das wird dir nichts nutzen.«
»Wenn ich genug saufe, könnte ich dich sogar für eine richtige Frau halten.«
DeeDees Reaktion ließ nicht auf sich warten. »Leider kann ich unmöglich so viel trinken, dass ich dich für einen Mann halten könnte.«
Das war das gewohnte Bürogeplänkel. Die Männer im Dezernat für Gewaltverbrechen zogen DeeDee ständig auf, doch alle schätzten sie für ihre Fähigkeiten, ihren Einsatzwillen und für ihren Ehrgeiz, wovon sie mehr als genug besaß. Wenn es hart auf hart kam, verstummten alle Neckereien, und ihre Meinung wurde genauso respektiert wie die der Männer, manchmal sogar noch mehr. »Weibliche Intuition« war keine hohle Phrase mehr. Dank DeeDees Scharfblick hatten alle angefangen, daran zu glauben.
Da er wusste, dass sie auch ohne seine Hilfe zurechtkommen würde, wandte sich Duncan ab und ließ seinen Blick über die Menge wandern.
Später sollte er sich daran erinnern, dass ihm zuerst ihr Haar ins Auge gefallen war.
Sie stand direkt unter einem der Strahler, die alle zehn Meter in die Decke eingelassen waren. Das Licht wirkte wie ein Scheinwerfer, der ihr Haar fast weiß glänzen ließ und sie selbst aus der Menge heraushob, als wäre sie die einzige Blondine im ganzen Saal.
Es war schlicht, schon fast streng frisiert – zu einem kleinen Knoten knapp über ihrem Nacken –, es hob die perfekte Kopfform hervor und betonte den langen, elegant geschwungenen Hals. Er bewunderte immer noch ihren blassen Nacken, als eine unauffällige Frau, die ihm den Blick auf den Rest ihres Körpers verstellt hatte, beiseitetrat. Dann sah er ihren Rücken. Und zwar ganz. Verlockende nackte Haut vom Hals bis zur Taille, sogar noch ein Stück tiefer.
Er hatte nicht gewusst, dass man an diesem Körperteil überhaupt Schmuck tragen konnte, und doch prangte dort eine Brosche mit offenbar echten Diamanten, die ihm von
ihrer Taille aus zuzuzwinkern schienen. Er stellte sich vor, dass die Steine von ihrer Haut angewärmt sein mussten.
Er merkte, wie seine Haut ebenfalls warm wurde, während er sie ansah.
Jemand trat von hinten an sie heran und sagte etwas zu ihr. Sie drehte sich um, und Duncan sah zum ersten Mal ihr Gesicht. Später war er nicht sicher, ob ihm in diesem Augenblick nicht das Kinn heruntergeklappt war.
»Dunk?« Worley stupste seinen Arm. »Alles okay?«
»Ja. Klar.«
»Ich hab dich gerade gefragt, wie es im Knast war.«
»Ach, ganz toll.«
Der Detective beugte sich vertraulich vor und feixte: »Musstest du viele Zellengenossen abwehren, die auf eine kleine Romanze gehofft haben?«
»Nein, die haben alle nach dir geschmachtet, Worley.«
DeeDee musste so lachen, dass sie dabei grunzte. »Gut gegeben, Duncan.«
Er wandte sich wieder ab, doch die Blondine war nicht mehr an dem Fleck,
Weitere Kostenlose Bücher