Warnschuss: Thriller (German Edition)
glaubte, er würde sie anfassen. Er sagte: »Wann sehen wir uns wieder?«
»Verzeihung?«
»Wann sehen wir uns wieder?«
»Überhaupt nicht, denke ich.«
»O doch. Wissen Sie, ich habe mir eines zum Prinzip gemacht: Wenn mich ein Richter ins Gefängnis steckt, ficke ich dafür seine Frau.«
Er ließ es beinahe wie ein Versprechen klingen. Vor Schreck blieb sie sprach- und reglos stehen. Sodass sie einander sekundenlang in die Augen sahen.
Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig, die den Bann brachen. Die Frau, die, wie sie inzwischen wusste, mit ihm zusammenarbeitete, packte Duncan Hatcher am Arm und zerrte ihn zu dem Wagen, den der Page vorgefahren hatte. Und am Rand ihres Blickfeldes tauchte Cato auf. Er kam auf sie zu, und sie rang sich ein Lächeln ab, während sie sich zu ihm umdrehte.
Ihr Mann blickte argwöhnisch auf Hatcher, den die Frau eben auf den Beifahrersitz stopfte. Elise hatte schon gefürchtet, dass Cato sie sofort auf den kurzen Wortwechsel ansprechen würde, doch das hatte er nicht. Erst als sie zu Hause angekommen waren, und bis dahin hatte sie Zeit gehabt, eine Lüge zusammenzuspinnen.
Jetzt allerdings rätselte sie, warum sie ihren Mann angelogen hatte.
Sie goss den Rest der Milch, die sie nicht trinken wollte, in den Ausguss und ließ das Glas in der Spüle stehen, wo es sofort auffallen würde. Dann verließ sie die Küche und kehrte an den Fuß der geschwungenen Treppe in der Eingangshalle zurück. Dort blieb sie stehen und lauschte. Im Haus war alles still. Oben regte sich nichts.
Hastig eilte sie durch die Halle in Catos Arbeitszimmer. Sie durchquerte den Raum, ohne Licht zu machen, schaltete aber, sobald sie am Schreibtisch angekommen war, die Tischlampe an. Sie legte tiefe Schatten über den Raum, vor allem über die deckenhohen Bücherregale, die sich über die Wand hinter dem Schreibtisch zogen.
Sie zog das falsche Regalbrett vor, hinter dem der Safe versteckt war, und drückte den Riegel, wohl wissend, dass er sich nicht bewegen würde. Der Safe war grundsätzlich verriegelt, auch nach fast dreijähriger Ehe hatte Cato ihr die Kombination nicht anvertraut.
Sie drückte das falsche Bücherfach wieder in Position und trat einen Schritt zurück, damit sie die Bücherwand insgesamt in Augenschein nehmen konnte. Dann unterteilte sie die Fächer wie schon so oft in einzelne Abschnitte, wobei sie sich auf jedes Regalbrett einzeln konzentrierte und den Blick langsam von Buch zu Buch wandern ließ.
Es gab unzählige Versteckmöglichkeiten in dieser Bücherwand.
Ihr fiel auf, dass in einem Fach knapp über ihrem Kopf einer der ledergebundenen Bände einen halben Zentimeter über das Regalbrett herausstand. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte die Hand nach oben, um genauer nachzusehen.
»Elise?«
Mit einem Aufschrei fuhr sie herum. »Cato! Meine Güte, hast du mich erschreckt!«
»Was machst du da?«
Mit wild klopfendem Herzen zog sie die Diamantbrosche aus der Tasche des Morgenmantels, in die Elise sie in weiser Voraussicht gesteckt hatte, bevor sie aus dem Schlafzimmer geschlichen war. »Meine Brosche.«
»Hält die allein das ganze Kleid?«
Verblüffend, dass ihr Gedächtnis Duncan Hatchers anzügliche
Bemerkung genau in diesem Augenblick hervorkramte, in dem ihr Ehemann sie eindringlich ansah und auf eine Erklärung wartete.
»Ich wollte sie mit einem Zettel auf deinen Schreibtisch legen, damit du sie siehst, bevor du morgen früh losfährst«, erklärte sie. »Ich glaube, ein paar Steine sind locker. Wir sollten sie von einem Juwelier anschauen lassen.«
Er trat in den Raum, warf einen Blick auf die Nadel in ihrer offenen Hand und sah dann in ihre Augen. »Vorhin hast du gar nichts von losen Steinen gesagt.«
»Ich hatte es vergessen.« Sie lächelte kurz und vielsagend. »Da wurde ich abgelenkt.«
»Ich nehme sie morgen in die Stadt mit und bringe sie beim Juwelier vorbei.«
»Danke. Sie ist schon seit Jahrzehnten in deiner Familie. Ich möchte nicht schuld sein, wenn einer der Steine verloren geht.«
Er sah an ihr vorbei auf das Regal. »Was wolltest du da oben?«
»Ach, einer der Bände steht nicht richtig. Das habe ich zufällig bemerkt. Ich weiß doch, wie pingelig du mit deinen Büchern bist.«
Er trat neben sie hinter den Schreibtisch, fasste nach oben und schob das Gesetzbuch wieder nach hinten. »So. Bestimmt hat Mrs Berry es beim Staubwischen verschoben.«
»Bestimmt.«
Er legte die Hände auf ihre Oberarme und massierte sie sanft.
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