Warnschuss: Thriller (German Edition)
es mir Spaß, andere Menschen rumzuschubsen und mit Waffen zu spielen.«
Er hatte ein Lächeln erwartet, doch ihre Miene blieb ernst. »Wenn du nicht du wärst, Duncan, hätte ich dir bestimmt nicht genug vertraut, um dich um Hilfe zu bitten.«
Er überhörte das fürs Erste. »Ich dachte, meine Bemerkung auf dem Galaempfang hätte den Ausschlag gegeben.«
Behutsam stellte sie den Becher auf den Tisch und senkte ihren Blick in den Kaffee. »Deswegen auch. Ich habe alles eingesetzt, was ich … für effektiv hielt, um an dich heranzukommen.
Ich habe getan, was ich tun musste.« Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen. »Nicht zum ersten Mal.«
Allmählich kamen sie zum Kern der Sache. Auch diesmal wollte er das lieber verschieben. Er stand auf und begann den Tisch abzuräumen. Sie übernahm den Abwasch, er trocknete ab. Sie arbeiteten Seite an Seite, doch ohne ein Wort zu sprechen.
Als alles erledigt war, fragte sie: »Können wir rausgehen? Ich möchte mir gern den Fluss ansehen.«
In den frühen Morgenstunden hatte es aufgehört zu regnen. Die Sonne war herausgekommen, und alles strahlte wie frisch gewaschen. Die Luft schmeckte rein. Die Farben wirkten lebhafter. Der Himmel brüstete sich mit einem klaren Blau, wie sie es seit Tagen nicht gesehen hatten.
Er spazierte mit ihr auf den Angelpier, wo er, sein Dad und sein Granddad oft geangelt hatten. Als er ihr das erzählte, lächelte sie. »Du hattest Glück.«
»Nicht beim Angeln.« Er lachte. »In unserer Familie sind die Männer lausige Angler. Wir waren nur gern zusammen.«
»Genau darum hattest du Glück.«
Sie setzten sich an die raue Kante des Holzpiers, ließen die Füße über dem Wasser baumeln und sahen den Booten zu, die im Jachthafen von Beaufort ausliefen oder anlegten. Er wartete eine Weile und fragte dann: »Du hattest nicht so viel Glück?«
»Mit meiner Familie? Nein. Ein klassischer Fall von dysfunktional. Mein Vater verschwand noch vor meiner Geburt. Ich habe ihn nie kennen gelernt. Meine Mutter heiratete einen anderen, bekam einen Jungen von ihm, dann verschwand er ebenfalls. Genauer gesagt lief sie davon.
Sie wurde zwar nie daraufhin untersucht, aber ich vermute, sie war manisch-depressiv. Meinem Halbbruder und
mir kam sie einfach nur… gemein vor. Aus heiterem Himmel konnte sie sich in einen Tobsuchtsanfall steigern. Ich will dich nicht mit den hässlichen Details langweilen.«
Nach einer Atempause fuhr sie fort: »Mein Halbbruder und ich überlebten, indem wir zusammenhielten. Die Angst vor unserer Mutter schweißte uns zusammen. Ich liebte ihn. Er liebte mich. Wir waren alles, was wir hatten.
Als ich von der Highschool abging, nahm ich mehrere Jobs an; kurzfristig wollte ich vor allem meinen Bruder durch die Highschool bekommen, damit wir danach zusammenziehen konnten.
Aber er schloss sich einer üblen Gang an unserer Schule an. Es kamen die Drogen. Kleinkriminalität. Immer wieder kam er in Arrest.« Sie drehte sich zu Duncan am. »Klingt das vertraut?«
»Allzu vertraut. Typischerweise gibt es kein Happy End.«
»Bei uns gab es wenigstens keines. Eines Tages lief mein Bruder weg. Er klemmte einen Zettel unter den Scheibenwischer meines Wagens, während ich arbeiten war.«
»Wo?«
»In einem Videoverleih. Der Besitzer hatte mir praktisch die Geschäftsführung überlassen. Ich übernahm die Bestellungen, das Einräumen, das Katalogisieren, die Buchhaltung, ich putzte sogar die Toiletten. Ich freute mich jeden Tag auf die Arbeit.«
»Aufs Kloputzen?«
Sie lächelte. »Ein geringer Preis. Denn im Grunde wurde ich dafür bezahlt, Filme anzusehen.«
»Du magst Filme?«
»Ich liebe sie. Der Job war für mich der Himmel auf Erden.« Ihr Lächeln löste sich unter den unangenehmen Erinnerungen auf, die unaufhaltsam die angenehmen verdrängten. »In der Nachricht, die mein Bruder hinterlassen hatte, schrieb er, dass er eigene Pläne hätte und dass seine
Lebenspläne nicht mit meinen übereinstimmten. Mir brach das Herz. Aber es war nicht zu ändern. Er war weg, und ich hatte keine Ahnung, wo ich nach ihm suchen sollte.«
Sie warf den Kopf in den Nacken, sah in den Himmel auf und lachte über sich selbst, während sie gleichzeitig über ihren Nacken strich. »Es fühlt sich komisch an. Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass meine Haare so kurz sind.«
»Mir gefallen sie allmählich.«
»Lügner.«
»Nein, im Ernst.« Sie tauschten ein Lächeln, doch dann drängte er sie weiterzusprechen. Sie erzählte ihm,
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