Warnschuss: Thriller (German Edition)
dass ihr Halbbruder etwa ein Jahr lang verschwunden war, ohne dass sie von ihm gehört hatte, als bei ihrer Mutter Unterleibskrebs diagnostiziert wurde. Elise übernahm die Verantwortung für ihre Pflege.
»Obwohl ich arbeiten und mich um sie kümmern musste, hatte ich mich im Junior College in Kunst und für Filmkurse eingeschrieben. Es war schwierig, aber ich hatte alles im Griff.« Sie sah aufs Wasser hinaus und seufzte. »Dann hörte ich endlich wieder von meinem Bruder. Leider waren es keine guten Nachrichten. Er war wegen Drogenhandels verurteilt worden und auf dem Weg ins Gefängnis. Es waren harte Drogen.«
Duncan spannte sich an. »Savich?«
»Savich. Er hatte meinen leicht verführbaren Bruder geködert. Der hatte sofort angebissen und Begabung für das Gewerbe gezeigt. Savich zahlte gut. So gut, dass mein Bruder ein Haus kaufen konnte, eben das Haus, in dem wir … in dem wir uns getroffen haben.«
»Wissen sie, dass es dieses Haus gibt? Savich? Dein Mann?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube nicht.«
Er bezweifelte das ebenfalls. Hätte Napoli gewusst, wo
sie sich an jenem Abend aufhielt, hätte er nicht in ihrem Wagen auf sie warten müssen. So hatte er ihr nur bis zu ihrem Auto folgen können. »Dein Bruder war wegen Drogenhandels verurteilt worden«, drängte er weiter.
»Nicht direkt. So lautete die Anklage, doch der Fall kam nie vor Gericht. Savich riet ihm, sich bei der Anklageerhebung schuldig zu bekennen. Sein Pflichtverteidiger war anderer Meinung, aber Savichs Wort wog schwerer. Er sagte, wenn mein Bruder sich reuig zeigte, würde er mit einer kurzen Haftstrafe, vielleicht sogar mit Bewährung davonkommen. Also bekannte er sich schuldig.«
»Und?«
Sie holte tief Luft. »Er wurde zu fünfzehn Jahren in Jackson verurteilt.«
»Scheiße.« Das Staatsgefängnis in Jackson war ein Hochsicherheitsgefängnis mit einem Todestrakt. Nur Schwerstkriminelle wurden dorthin geschickt. »Seine Vorstrafen waren wohl …«
»Das war sein erstes Vergehen, Duncan.«
»Warum dann ein so brutales Urteil?«
Sie sah ihm in die Augen. »Weil von Zeit zu Zeit einer von Savichs Straßenhändlern geopfert werden musste. Andernfalls hätte Richter Lairds Nachgiebigkeit Verdacht erregt.«
»Cato Lairds Nachgiebigkeit?« Duncans Augen wurden schmal. »Warte, willst du damit sagen …«
»Dass Savich und Cato Partner sind. Sie arbeiten seit Jahren zusammen.«
Das traf ihn wie ein Donnerschlag. »Laird zeigt sich gegenüber Savichs Kleinhändlern gnädig.«
»Wofür er sich gut bezahlen lässt.«
»Verdammter Mist!«
»Savich hat Dutzende von Händlern. Natürlich wird da hin und wieder einer geschnappt. Wenn also einer verhaftet
wird und vor Catos Bank landet, mogelt er normalerweise etwas zusammen, damit die Anklage fallen gelassen wird. Oder er bevorzugt während der Verhandlung den Anwalt der Verteidigung. Falls er keine Verfahrenseinstellung erzwingen kann, verhängt er ein leichtes Urteil, oft auf Bewährung. Schon bald ist der Dealer wieder auf der Straße und verdient Geld für Savich. Das Geld, das Savich an Cato zahlt, rechnet er unter Spesen ab. Alle sind glücklich.«
»Verdammter Bockmist!« , wiederholte er so laut, dass zwei ältere Damen, die ihre Hunde auf dem Pier spazieren führten, ihn tadelnd ansahen. »Das haben sie die ganze Zeit unter unseren Augen getrieben, ohne dass wir was gemerkt haben!«
»Sei nicht zu streng mit dir oder den Polizisten aus dem Drogendezernat«, sagte Elise. »Die beiden hatten nie direkt Kontakt miteinander. Cato spricht nie über Savich. Grundsätzlich nicht. Er hat ihn mir gegenüber nur ein einziges Mal erwähnt, das war, als er mir erklärte, warum du nach der Verfahrenseinstellung so ausgerastet bist.«
»Die sich damit von selbst erklärt. Die ganze Verhandlung war eine Farce, beide wussten von Anfang an, wie sie ausgeht.«
»Wahrscheinlich«, bestätigte sie. »Eines steht fest, die beiden sind kaum zu fassen. Niemand ahnt etwas von ihrer Verbindung, denn Cato ist schlau genug, hin und wieder einen Sündenbock zu opfern.«
»Wie deinen Halbbruder.«
»Der beschloss, die beiden auffliegen zu lassen, als ihm aufging, dass er geopfert worden war. Aber bevor er etwas unternehmen konnte, wurde er ermordet. Schon an seinem zweiten Tag im Gefängnis. Er starb in den Duschräumen …«
»Mit einem Seifestück in der Kehle. Dein Halbbruder war Chet Rollins.«
Sie sah ihn überrascht an. »Du hast ihn gekannt?«
»O ja«, bekannte er gepresst. »Ich bin
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