Warnschuss: Thriller (German Edition)
die Gott den Menschen gespielt hat, ist, dass man schon im Voraus sehen kann, wie man selbst wird. Hast du schon mal den Hintern meiner Mutter gesehen? Breit wie eine Dampfwalze.«
»Aber Falten hat sie keine.«
»Weil ihr Gesicht rund ist wie ein Pfannkuchen. Ich treffe mich heute mit ihnen.« Besuche bei ihren Eltern vermiesten ihr regelmäßig die Laune und machten sie selbstkritisch.
»Du wirst was Gutes zu essen bekommen.«
»Aber erst nachdem wir auf dem Friedhof waren und dem kostbaren Steven die Ehre erwiesen haben.« Dann presste sie die Hand auf die Stirn und massierte sie mit aller Kraft. »Hör mich an. Mein Bruder ist tot, ich bin am Leben, und ich bin eifersüchtig auf ihn. Zu was für einem Menschen macht mich das? Zu einem grässlichen Menschen, echt wahr.«
»Hör zu, wenn du dieses Selbstgespräch lieber allein führen möchtest, kann ich gehen und später wiederkommen.«
Sie schenkte Duncan ein selbstironisches Lächeln. »Entschuldige. Du weißt, wie ich diese Pilgergänge an Stevens Grab hasse. Mom schluchzt. Dad wird steifer als der Grabstein. Wenn wir wieder gehen, schaut er mich an, und ich weiß genau, was er denkt. Er denkt, warum musste es ausgerechnet Steven treffen, wenn er schon eines seiner Kinder verlieren musste.«
»Das denkt er ganz bestimmt nicht.«
»Ach ja? Warum gibt er mir dann das Gefühl, dass ich ihn kolossal enttäusche?«
»Er weiß nur nicht, wie er dir zeigen soll, dass er stolz auf dich ist. Er liebt dich.« Das sagte Duncan jedes Mal, aber er wusste, dass sie ihm nicht glaubte. Er war nicht einmal sicher, ob er es selbst glaubte.
DeeDees Bruder war eine Woche vor seinem Highschool-Abschluss bei einem Autounfall gestorben. Die mehrere Jahre jüngere DeeDee hatte es auf sich genommen, in die Fußstapfen ihres Bruders zu treten oder es wenigstens zu versuchen. Zwei Jahrzehnte nach dieser Tragödie trauerten ihre Eltern immer noch um ihren Sohn, und sie versuchte immer noch, sie über diesen Verlust hinwegzutrösten und die Liebe zu gewinnen, mit der ihre Eltern ihren toten Bruder, das Wunderkind, überschüttet hatten.
Ihr Vater war Berufssoldat gewesen. Also war DeeDee gleich nach dem College zu den Marines gegangen. Sie hatte ihre Dienstzeit mit einer perfekten Beurteilung abgeschlossen, aber das hatte auf ihren Vater wenig Eindruck gemacht. Nach Ende ihrer Dienstverpflichtung hatte sie sich nicht wieder eingeschrieben, sondern stattdessen zum Savannah Police Department gewechselt. Dort hatte sie sich hochgearbeitet, war in Rekordzeit zum Detective befördert
worden und hatte um die Versetzung in die Violent Crimes Unit gebeten, die man ihr sofort bewilligt hatte.
Sie hatte eine natürliche Begabung für die Polizeiarbeit und schien darin aufzublühen. Aber Duncan fragte sich hin und wieder, ob sie diese Laufbahn auch nur eingeschlagen hatte, um ihren Eltern zu beweisen, dass sie einen schwierigen Job so gut bewältigen konnte wie jeder Mann, wenn nicht besser. Mindestens so gut wie oder besser als Steven es gekonnt hätte.
Ihre Zielstrebigkeit und ihre Leistungen waren bewundernswert. Aber das Streben nach Perfektion, das sie zu einer so guten Polizistin machte, machte sie auch zu einem unzufriedenen Menschen. Nie begnügte sie sich mit ihren Leistungen, immer versuchte sie sich zu verbessern. Die Arbeit ließ für nichts anderes Raum. Sie hatte nur wenige Freunde und mischte sich nur äußerst selten unter Menschen. Allein der Gedanke an eine romantischen Beziehung war ihr zuwider, da ihrer Meinung nach die Beziehung die Mühe nicht wert sei, die es kosten würde, sie zu erhalten, und sie, falls sie durch ein Wunder funktionieren sollte, nicht mit ihrer Arbeit zu vereinbaren wäre.
Viele Male hatte Duncan ihr vorgehalten, dass ihr Leben in Schieflage war und dringend ausbalanciert werden musste. Aber Besessenheit war nur schwer mit Argumenten zu besiegen. Wenn ein Mensch sich erst einmal einer Sache verschrieben hatte, regierte sie das ganze Leben, bestimmte über alle Entscheidungen und führte letztendlich oft ins Verderben.
Sein Hirn kam ins Straucheln und stolperte über den letzten Gedanken.
Über wessen Besessenheit hatte er da nachgedacht? DeeDees oder seine? Er war gefährlich nah dran gewesen, von Savich besessen zu sein. Und jetzt von Elise Laird.
»Duncan?«
DeeDee riss ihn aus seiner verstörenden Nabelschau. »Hä?«
»Ich sagte gerade, lass uns über Elise Lairds Affäre mit Coleman Greer sprechen.«
Na schön.
»Diesem Mister
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