Warnschuss: Thriller (German Edition)
klang wie auf einer Beerdigung. Diesmal zeigte die Musik keine befreiende Wirkung. Bald gab er es auf, darin Erlösung finden zu wollen, legte sich stattdessen auf die Couch, schlug den Unterarm über die Augen und gab sich den Schuldgefühlen hin, vor denen er davonzulaufen versuchte, seit er Elise verlassen hatte.
Sie landeten zentnerschwer auf seiner Brust.
Auf professioneller Ebene gab es keine Rechtfertigung für das, was er getan hatte. Er war mit einer Verdächtigen intim
geworden, was wahrscheinlich das oberste, schlimmste, Numero-Uno-No-No für jeden Gesetzeshüter darstellte.
DeeDee und seine Kollegen würden ihn dafür verachten. Seine Vorgesetzten würden ihn dafür bestrafen oder schlichtweg feuern. Aber so streng ihr Urteil auch ausfiele, es wäre nicht so streng, wie er es verdient hatte, und nicht so unerbittlich wie jenes, das er selbst über sich fällte. Er hatte ihre Ermittlungen gefährdet. Das war unverzeihlich.
Selbst wenn das verzeihlich gewesen wäre, war da noch etwas anderes – Elise war verheiratet.
Wie so viele Pfarrerskinder hatte auch er als Junge um jeden Preis beweisen wollen, dass er nicht frommer war als alle anderen Kinder. In seiner Jugendzeit hatte er ständig Ärger gesucht und ihn gewöhnlich auch gefunden.
Während der Pubertät hatte er es richtig wild getrieben. Die schlimmste Strafe, die er erdulden musste, hatte darin bestanden, am Sonntagmorgen zwei Gottesdienste hintereinander über sich ergehen lassen zu müssen, obwohl er nach einem Gelage am Samstagabend so verkatert war, dass er am liebsten geheult hätte. Dreimal musste er aus dem Gemeindesaal schleichen, um eine ätzende Mischung aus Galle und Weincooler mit Apfelgeschmack zu erbrechen.
Sein Dad hatte gehofft, dass ihm das eine Lehre wäre. Doch die Erfahrung hatte ihn nur gelehrt, wie er seine Getränke klüger auswählte, wie sich ein Kater vermeiden ließ oder wie er damit umgehen musste, falls die Vermeidungstaktik fehlschlug.
Zum großen Kummer seiner liebenden Eltern war er fest entschlossen gewesen, sich nicht von der Masse abzuheben, im Gegenteil, dass sie Geistliche waren, machte ihn noch abenteuerlustiger als die meisten Teenager. Ganz besonders traf das auf seinen sexuellen Forscherdrang zu. Er begann früh zu experimentieren, und einige seiner denkwürdigsten
Experimente hatte er auf dem Kirchengelände durchgeführt. Während die Diakone mit seinem Vater den Erwerb neuer Kirchenbänke oder Gesangsbücher besprachen, schmeichelte er ihren Töchtern im Umkleideraum des Chors, wo die Roben aufbewahrt wurden, heiße Küsse ab.
Eine Handvoll Brust durfte er zum ersten Mal in einem kirchlichen Ferienlager spüren. Es war nach dem Abendgottesdienst, als sie durch den Wald vom Tabernakel zu den Unterkünften zurückgingen. Zwei Sommer darauf verlor er auf ganz ähnliche Weise seine Unschuld. Als am nächsten Morgen die Dankesgebete gesprochen wurden, war seines möglicherweise das inbrünstigste.
Auf dem College hatte er einige ziemlich verrückte Eskapaden unternommen, aber wer hatte das nicht? Die Jahre hatten ihn vor- und umsichtiger werden lassen – wobei der vergangene Samstag eine Ausnahme darstellte.
Er hatte sich von einem notgeilen Collegekid, das jede willige Mitstudentin flachlegen wollte, in einen verantwortlicheren Mann entwickelt, der Frauen aufrichtig mochte und respektierte. Ganz gleich, wie lang oder kurz eine Beziehung anhielt, er versuchte sich wie ein Ehrenmann zu verhalten.
Das schloss ein, dass er nicht in fremdem Territorium wilderte. Es bedeutete auf jeden Fall, dass er seine fleischlichen Gelüste nicht mit der Ehefrau eines anderen stillte.
Über vierzig Jahre lang hatten seine Eltern eine liebevolle, stabile und glückliche Ehe geführt. Er hatte nicht den leisesten Zweifel, dass sie immer noch ineinander verliebt und sexuell aktiv waren. Die Heiligkeit der Institution Ehe war in den Predigten seines Vaters ein immer wiederkehrendes Thema.
Duncan nahm an, dass sich dieses spezielle moralische Prinzip, so wild er es auch als junger Mann getrieben hatte,
tief eingegraben hatte. Ehebruch war eine Sünde, die man nicht beging. Das tat man einfach nicht. Er hatte nie auch nur mit dem Gedanken daran gespielt.
Jetzt jedoch hatte er mit einer verheirateten Frau geschlafen, und er schämte sich zutiefst dafür.
Vor allem beschämte es ihn, dass er sie immer noch begehrte.
Genau das war seine Strafe: Zu wissen, dass sie ihm nie gehören würde.
Ganz gleich, wie der Fall
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