Warrior Cats 03 - Die Macht der drei 06 - Sonnenaufgang
Zweibeinernest und direkt vor der Öffnung eines Tunnels stehen geblieben war. Diesen Eingang hatte Häherfeder noch nie benutzt, er war erfüllt von altem Fuchsgestank, der überlagert wurde von dem Geruch nach Wasser und Gestein, der aus der Dunkelheit hinter ihr empordriftete.
Häherfeder versuchte, ganz ruhig zu sprechen. »Distelblatt, bitte hör uns zu.«
Distelblatt schien ihn nicht zu hören. »Es tut mir leid«, miaute sie leise. »Ich habe doch nur versucht, das Beste zu tun. Ich konnte Aschenpelz nicht am Leben lassen! Um unser aller Willen! Das versteht ihr doch, nicht wahr?«
Häherfeder stockte der Atem. Hinter ihm keuchte Löwenglut: »Du hast Aschenpelz getötet?«
Falls Distelblatt etwas erwiderte, vernahm Häherfeder es nicht. Mehr denn je von Hass erfüllt auf seine Macht, griff er dennoch mit seinen Gedanken nach den Erinnerungen seiner Schwester. Sie verfolgte Aschenpelz auf leisen Pfoten den Bach entlang zur WindClan-Grenze, wich den Steinen aus, an denen ihre Krallen scharren könnten, oder Farnen, die ihr Fell streiften. Aschenpelz war ganz auf die Jagd konzentriert und bemerkte sie nicht. Distelblatt folgte ihm wie ein Schatten, bis sie zu einer Stelle kamen, wo die Böschung steil und schlüpfrig war und der Bach sich wie eine schäumende Schlange tief unter ihnen wand. Sie sprang ihn von einem Stein aus an, packte seine Schultern mit den Vorderpfoten und schlug ihre Zähne in seine Kehle. In dem roten Schleier, der ihre Sinne benebelte, war Aschenpelz nichts weiter als ein Stück Beute, etwas, das getötet werden musste, um das Gesetz der Krieger und die Zukunft des Clans zu schützen.
Aschenpelz schlug kraftlos nach ihr, doch Blut strömte in einem großen Schwall aus seiner Kehle. Sein Körper wurde schlaff, dann sprang Distelblatt zurück und ließ ihn hinab in den Bach fallen. Sie stand da und beobachtete ihn eine Weile, bis das rasch fließende Wasser das Blut weggewaschen hatte. Danach tappte sie zu einer kleinen Pfütze oben an der Böschung und wusch sich die Pfoten in dem sich rötenden Wasser. Hinter ihr stieß Aschenpelz’ Leichnam gegen das Ufer, ehe er stromabwärts trieb.
»Er hätte in den See geschwemmt werden und auf Nimmerwiedersehen verschwinden sollen.« Distelblatts Stimme riss Häherfeder aus ihren schrecklichen Erinnerungen. »Aber sie haben ihn gefunden und jetzt ist alles zerstört. Ich kann hier nicht bleiben.«
Verzweiflung bebte in ihrer Stimme. »Ich weiß, ich habe das Richtige getan, aber keine Katze wird das je verstehen.«
Dann machte sie kehrt und floh in den dunklen Gang. Häherfeder rannte ihr nach und hörte das Brüllen des unterirdischen Flusses, der hungrig gegen die Felswand schlug.
»Distelblatt, nein!«, jaulte er. »Wir können das gemeinsam lösen …« Seine Worte wurden von einem ohrenbetäubenden Poltern unterbrochen, das gar nicht mehr aufzuhören schien. Er sah vor sich, wie der Gang einstürzte und nasse Erde und Gestein auf seine Schwester herabregnete, sie zu Boden riss und zermalmte, sie unter sich begrub …
Er raste los. »Distelblatt!«
Löwenglut sprang ihn an, riss ihn von den Pfoten und drückte ihn zu Boden. Zornbebend wand sich Häherfeder unter ihm. »Lass mich los!«, kreischte er. »Wir müssen sie da rausholen!«
»Wir können ihr nicht helfen«, knurrte Löwenglut. »Der Gang ist eingestürzt. Wir können ihr nicht folgen.«
Häherfeder lag keuchend da, während das Dröhnen der einstürzenden Erde allmählich erstarb. In der Stille trat Löwenglut zurück und ließ seinen Bruder wieder auf die Pfoten kommen. Distelblatt hatte die Gänge als einen Weg gesehen, ihrem Clan zu entfliehen und allem, was falsch gelaufen war. Nur war sie nicht entkommen – nicht so, wie sie es gewollt hatte.
»Es ist vorbei«, miaute Löwenglut mit zitternder Stimme.
»Ich verstehe das nicht.« Häherfeder bebte vor Entsetzen und Trauer. »Sie hat Aschenpelz getötet, um das Geheimnis sicher zu bewahren. Und dann hat ausgerechnet sie es allen Katzen auf der Großen Versammlung offenbart.«
»Das ist nicht das Gleiche.« Löwenglut drückte sich an ihn, bis Häherfeder spürte, wie die Bestürzung seines Bruders sich mit seiner mischte. »Distelblatt konnte den Gedanken nicht ertragen, das Junge einer Heiler-Katze zu sein. Sie konnte die Vorstellung nicht ertragen, Halb-Clan zu sein. Das Gesetz der Krieger war alles für sie und unsere Geburt hat es in Stücke geschlagen.«
»Wir hätten etwas tun müssen«, beharrte Häherfeder.
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