Warte auf das letzte Jahr
Glauben schenken. Schließlich hatte man vorsorglich eine Operation durchgeführt, und Mr. Browns Leber hatte sich keinesfalls in dem Zustand befunden, wie man es von einem Mann in seinem Alter erwarten konnte.
Er besaß die Leber eines neunzehn oder zwanzig Jahre a l ten Mannes.
Und diese seltsame Feststellung hatte man auch bei se i nen anderen Organen getroffen. Aber die allgemeinen Kräfte Mr. Browns ließen nach; er verfiel zusehends und wirkte merklich älter, als er es nach der Zahl seiner Jahre war, und die Aura, die ihn umgab, war die eines kranken Mannes. Es schien, als ob sein Körper sich auf der physiologischen Eb e ne verjüngte, während seine Essenz, sein psychobiolog i sches Selbst, zunehmend alterte.
Welche physiologische Kraft es auch sein mochte, denen seine Organe unterworfen waren, Mr. Brown schien aus i h nen keinen Nutzen ziehen zu können; abgesehen natürlich von der Tatsache, daß ihn die bösartige Lebergeschwulst und der Krebsbefall seiner Milz und die Prostataentartung, die in seinem dritten Lebensjahrzehnt aufgetreten und u n entdeckt geblieben war, nicht umgebracht hatten.
Mr. Brown war am Leben – doch das war auch alles. A l les in allem war sein Körper abgenutzt, und sein Zustand verschlimmerte sich ständig; zum Beispiel sein Kreislaufs y stem. Browns Blutdruck lag bei 220 – trotz aller gefäßerwe i ternden Mittel, die er auf oralem Wege zu sich nahm; auße r dem war seine Sehkraft arg in Mitleidenschaft gezogen. Und trotzdem – Eric war davon überzeugt – würde Brown dies zweifellos überwinden, genau wie er alle anderen Leiden überwunden hatte; eines Tages würden die Symptome ei n fach verschwunden sein, selbst wenn er die vorgeschriebene Diät nicht einhielt und das Reserpin nicht einnahm.
Die hervorstechende Tatsache war einfach die, daß Mr. Brown zu dem einen oder anderen Zeitpunkt jede bekannte ernste Krankheit gehabt hatte – von Lungenembolien bis zur Gelbsucht. Er war ein wandernde Ansammlung aller nur erdenklichen Leiden, ohne jemals richtig gesund zu werden; zu jedem Zeitpunkt war irgendein wichtiger Teil seines Körpers erkrankt.
Und doch gelang es ihm auf irgendeine Weise immer, sich selbst zu heilen. Ohne den Einsatz von Transplantorg a nen. Es schien, als ob sich Brown irgendwelcher Hausmittel, irgendwelcher homöopathischer Medikamente bediente, Kräutermixturen, deren Gebrauch einem verantwortungsb e wußten Arzt niemals in den Sinn gekommen wären.
Brown brauchte seine Krankheiten. Seine Hypochondrie war real; er wies nicht nur lediglich hysterische Symptome auf – er litt an wahrhaftigen Krankheiten, die vorübergehe n der Natur waren. Falls dies tatsächlich Hysterie war, eine Variante rein psychologisch bedingter Beschwerden, dann sah sich Eric zum erstenmal einem derartigen Phänomen gegenüber. Und dennoch war Eric überzeugt, daß sich all diese Krankheiten aus einem bestimmten Grund entwickelt hatten; sie entstammten der Komplexität, den unergründl i chen Tiefen von Mr. Browns Psyche.
Dreimal in seinem Leben hatte Mr. Brown dafür gesorgt, daß er Krebs bekam. Aber wie? Und – warum?
Vielleicht war dies eine Folge seiner Todesangst. Und j e desmal scheute er vor der endgültigen Entscheidung zurück. Er brauchte seine Krankheiten – aber nicht den Tod. Demz u folge waren seine Selbstmordwünsche unecht.
Dies zu wissen war wichtig. Falls dem so war, dann wü r de Mr. Brown um sein Leben kämpfen – obwohl er Eric zu dem Zweck engagiert hatte, ihn zu töten.
Deshalb würde Mr. Brown ein ausgesprochen schwieriger Patient werden. Um es vorsichtig auszudrücken. Und zwe i fellos lief alles auf unbewußter Ebene ab. Mit Sicherheit ahnte Mr. Brown nichts von dem Streit, den gegensätzlichen Wünschen in seinem Innern.
Die Türglocke läutete. Eric ging an die Tür – und stand einem beflissen wirkenden Mann in einem sauberen G e schäftsanzug gegenüber. Der Mann zeigte ihm seinen Au s weis und erklärte:
»Geheimdienst, Dr. Sweetscent. Generalsekretär Molinari verlangt nach Ihnen; er hat starke Schmerzen, also ist es be s ser, wenn wir uns beeilen. «
»Natürlich. « Eric hastete zum Schrank und holte seinen Mantel; kurz darauf rannte er gemeinsam mit dem Gehei m dienstbeamten zu dem geparkten Flitzer. »Magenschme r zen? « fragte Eric knapp.
»Die Schmerzen haben sich auf die linke Seite verlagert «, berichtete der Geheimdienstbeamte, während er den Flitzer in den Verkehr einfädelte. »Herzbereich. «
»Hat er gesagt, er
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