Warte auf das letzte Jahr
dieser bezaubernde, verrückte, kauzige Narr? Soll das ein Witz sein, Sweetscent? Ja? Sie glauben doch nicht, daß Virgil einen Schwindler tolerieren würde, der …« Sie machte eine obszöne Geste mit ihrem Daumen, während sie gleichzeitig lächelte und ihre weißen, makellosen Zähne entblößte. »Vielleicht«, sagte sie, »ist es Ian Norse.«
»Wer ist denn das?« Er hatte den Namen schon einmal gehört, er klang vertraut, und obwohl er wußte, daß er einen taktischen Fehler beging, wenn er sie danach fragte, konnte er nicht anders handeln; das war seine Schwäche gegenüber den Frauen. Sie folgten, wohin er sie führte – zumindest manchmal. Doch mehr als einmal, vor allem in kritischen Phasen seines Lebens, wenn es um wichtige Entscheidungen ging, da folgte er arglos, wohin sie ihn führten.
Phyllis seufzte. »Ians Firma stellt all diese funkelnden, sterilen neuen und sehr teuren Transplantorgane her, die sie kunstfertig den sterbenden reichen Menschen einpflanzen; bedeutet das, daß Sie nicht wissen, wem Sie zu Dank verpflichtet sind, Doktor?«
»Natürlich weiß ich das«, widersprach Eric irritiert und verärgert. »Ich hatte es im Moment nur vergessen; das ist alles.«
»Vielleicht ist es ein Komponist. Wie in Kennedys Zeiten; vielleicht ist es Pablo Casals. Mein Gott, der wäre wirklich alt. Vielleicht ist es Beethoven. Hmm.« Sie dachte nach. »Herr im Himmel, ich glaube nicht, daß er davon etwas erwähnt hat. Ludwig van Irgendwer; ist denn ein Ludwig van Irgendwer etwas anderes …«
»Mein Gott«, stieß Eric zornig hervor, überdrüssig, geneckt zu werden. »Hören Sie auf.«
»Spielen Sie sich nicht so auf; so wichtig sind Sie auch nicht. Halten einen einzigen gruseligen alten Mann Jahrhundert um Jahrhundert am Leben.« Sie lachte ihr leises, süßes und sehr intimes, warmes Jungmädchenlachen.
Mit soviel Würde, wie er aufbringen konnte, erklärte Eric: »Ich bin bei TF&D für das Wohlergehen von achtzigtausend wichtigen Persönlichkeiten verantwortlich. Und da mir das vom Mars aus nicht möglich ist, bin ich gegen diese Reise. Ich verabscheue sie sogar.« Genau wie dich, fügte er verbittert in Gedanken hinzu.
»Was für ein Verhältnis«, spottete Phyllis. »Ein Transplantchirurg für achtzigtausend Patienten – genauer für achtzigtausendundeinen. Aber Sie haben doch Ihre Robameisen, die Sie unterstützen … vielleicht können sie alles erledigen, während Sie abwesend sind.«
»Eine Robameise ist etwas, das nichts taugt«, erklärte er in Abwandlung eines Wortes von T.S. Eliot.
»Und ein Transplantchirurg«, schloß Phyllis, »ist etwas, das kriecht.«
Er blickte sie mürrisch an; sie nippte an ihrem Glas und zeigte keine Reue. Er kam nicht gegen Sie an; sie war ihm psychisch einfach überlegen.
Das Zentrum des 35er Wash, ein fünfstöckiges Backsteinhaus, in dem Virgil seine Jugend verbracht hatte, besaß ein modernes Apartment, eingerichtet mit allen Bequemlichkeiten des Jahres 2055, die Virgil während dieser Kriegsjahre noch zur Verfügung standen. Einige Blocks davon entfernt befand sich die Connecticut Avenue, in der man alle Geschäfte rekonstruiert hatte, an die sich Virgil erinnerte. Da war Gammage’s, ein Laden, in dem Virgil seine Tip-Top-Comics und Zuckerstangen gekauft hatte. Daneben entdeckte Eric die vertrauten Umrisse des People’s Drugstore; während seiner Kindheit hatte der alte Mann dort ein Feuerzeug und Chemikalien für seinen Gilbert Number Five, einen Glasbläserei- und Chemiekasten, erworben.
»Was läuft heute im Uptown Theater?« brummte Harv Ackerman, während das Schiff die Connecticut Avenue entlangrollte, damit Virgil einen Blick auf die angehäuften Schätze werfen konnte. Er sah genauer hin.
Es war Jean Harlow in Hell’s Angels, den jeder von ihnen mindestens schon zweimal gesehen hatte. Harv gähnte.
»Erinnerst du dich noch an diese wundervolle Szene«, wandte sich Phyllis an Harv, »wo die Harlow sagt: ›Ich glaube, ich werde mir etwas Bequemeres anziehend Und dann, als sie zurückkehrt …«
»Ich weiß, ich weiß.« Harv nickte irritiert. »In Ordnung, es gefällt mir.«
Das Schiff verließ die Connecticut Avenue, bog in die McComb Street ein und hielt dann vor der Nummer 3039 mit ihrem schwarzen, schmiedeeisernen Zaun und dem schmalen Rasenstück. Als die Luke aufglitt, schlug Eric nicht die Stadtluft der langvergessenen irdischen Hauptstadt, sondern die dünne und kalte Atmosphäre des Mars entgegen; das Atmen fiel ihm
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