Warte auf das letzte Jahr
bewußt. Sein Wahrnehmungsvermögen, seine Sicht der Realität war so hochentwickelt, daß diesem Mann nichts entging und er auch nichts vergaß, was jemals seinen Lebensweg gekreuzt hatte. Und darüber hinaus beinhaltete diese ungeheure visuelle Überlegenheit den Aspekt der Vorsicht, das Bewußtsein drohenden Leids.
Diese Fähigkeit hielt den Maulwurf am Leben.
Und dann wurde Eric etwas bewußt, etwas, das ihm während all der erschöpfenden, schrecklichen Kriegsjahre niemals in den Sinn gekommen war.
Der Maulwurf wäre in jedem Zeitalter, in jedem Gesellschaftssystem ihr Führer geworden. Und auch – überall sonst.
»Jeder Krieg«, erklärte Eric mit äußerster Behutsamkeit und größtmöglichem Takt, »ist ein schwerer Krieg für jene, die in ihn verwickelt sind, Generalsekretär.« Er verstummte, dachte kurz nach und fügte dann hinzu: »Sobald man an ihm teilnimmt, versteht man es. Es ist das Risiko, das ein Planet, ein Volk eingeht, wenn es freiwillig an einem ernsten und uralten Konflikt teilnimmt, der schon seit langer Zeit zwischen zwei anderen Völkern besteht.«
Stille trat ein; wortlos starrte ihn Molinari an.
»Und die Sternmenschen«, erklärte Eric, »sind von unserem Blut. Wir sind genetisch mit ihnen verwandt, nicht wahr?«
Nur Schweigen antwortete ihm, eine wortlose Leere, die niemand auszufüllen wagte. Schließlich begann Molinari nachdenklich zu furzen.
»Erzählen Sie Eric von Ihren Magenschmerzen«, forderte Virgil Molinari auf.
»Von meinen Schmerzen …«, echote Molinari und verzog das Gesicht.
»Der Sinn unseres Zusammentreffens …« begann Virgil.
»Schon gut«, knurrte Molinari mürrisch und bewegte seinen mächtigen Schädel hin und her. »Ich weiß. Und Sie wissen es auch. Genau das ist der Zweck.«
»So sicher, wie ich weiß, daß es Steuern und Gewerkschaften gibt, so sicher weiß ich auch, daß Dr. Sweetscent Ihnen helfen kann, Generalsekretär«, fuhr Virgil fort. »Wir werden verschwinden und uns in die anderen Räume begeben, damit Sie beide sich ungestört unterhalten können.« Mit ungewöhnlicher Bedachtsamkeit wandte er sich ab, und nacheinander strömten die anderen Mitglieder des Familienclans und die Angestellten der Firma aus dem Zimmer und ließen Eric Sweetscent mit dem Generalsekretär allein.
Nach einer Weile straffte sich Eric. »In Ordnung, Sir; erzählen Sie mir von Ihren Magenverstimmungen, Herr Generalsekretär.« Ein kranker Mensch war ein kranker Mensch, gleichgültig, wieviel Macht er besaß, und Eric ließ sich auf dem Lehnstuhl nieder, der vor Molinari stand, und wartete.
4
Als Bruce Himmel an diesem Abend die altersschwache Holztreppe hinaufstolperte, die zu Chris Plouts Konap führte, einem verwahrlosten Gebäude im heruntergekommenen mexikanischen Stadtviertel vom Tijuana, ertönte hinter ihm in der Dunkelheit eine weibliche Stimme. »Hallo, Brucie. Wie es scheint, wird das heute eine richtige TF&D-Nacht werden; Simon Ild ist ebenfalls hier.«
Die Frau glitt an seine Seite. Es war die erotiksprühende, scharfzüngige Katherine Sweetscent; er hatte sie vorher schon mehrmals bei Plout angetroffen, und deshalb überraschte es ihn nicht sehr, sie auch heute hier zu sehen. Mrs. Sweetscent trug eine irgendwie veränderte Ausgabe jenes Kostüms, das sie auch bei der Arbeit anzog; aber auch das versetzte ihn kaum in Erstaunen. Von der Hüfte aufwärts war sie nackt, natürlich abgesehen von ihren Brustwarzen, die zwar nicht im eigentlichen Sinne bedeckt, sondern eher mit einer Schicht aus lebender Materie überzogen waren, einer marsianischen Lebensform namens Fühlstoff, die jeder Warze ein eigenständiges Bewußtsein zu verleihen schien. Und so reagierten beide Brustwarzen mit aufgeregten Bewegungen auf alles, was sich in der Nähe abspielte.
Himmel war wie gebannt von ihrem Anblick.
Hinter Kathy Sweetscent wurde Simon Ild sichtbar; in dem Zwielicht wirkte sein Gesicht eigentümlich leer – kein großer Unterschied zu seinem sonstigen dumpfen, pickeligen, ungebildeten Mienenspiel. Alles in allem ein Mann, dem Himmel lieber nicht begegnet wäre, erinnerte er ihn doch unangenehm an ein schlechtes Abziehbild seiner selbst. Und es gab wenige Dinge, die Himmel mehr störten.
Der vierte Gast, der sich in dem unbeheizten, niedrigen Wohnzimmer von Chris Plouts unordentlichem, nach abgestandenem Essen riechenden Konap eingefunden hatte, war ein Mann, den Himmel sofort erkannte – den er erkannte und unverhohlen anstarrte, war er ihm
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