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Warte auf das letzte Jahr

Warte auf das letzte Jahr

Titel: Warte auf das letzte Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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und her, und er lächelte glücklich. Himmel wartete geduldig, bis Plout schließlich fortfuhr. »Bei jedem wirkt es anders. Irgendwie hat es mit dem Phänomen zu tun, was Kant die ›Kategorien der Wahrnehmung‹ nannte. Sie verstehen?«
    »Also mit unserem Sinn für Raum und Zeit«, nickte Himmel, der die Kritik der reinen Vernunft gelesen hatte und gleichermaßen von Kants erzählerischem Können wie von seinen Gedanken beeindruckt gewesen war. In seinem kleinen Konap befand sich eine Taschenbuchausgabe dieses Werkes.
    »Genau! Vor allem verändert JJ-180 den Zeitsinn, so daß man sie im Grunde als temporale Droge bezeichnen könnte – nicht wahr?« Plout schien von seinem Durchblick hingerissen zu sein. »Die erste temporale Droge … oder besser ausgedrückt: die erste detemporale Droge. Vorausgesetzt, Sie glauben, was Sie unter ihrer Einwirkung erleben.«
    »Ich muß zurück zur TF&D«, erklärte Himmel und erhob sich.
    Plout drückte ihn auf seinen Stuhl zurück.
    »Fünfzig Mäuse. US-Währung.«
    »W-was?«
    »Soviel kostet eine Kapsel. Mann, das Zeug ist selten. Ich habe selbst erst jetzt davon gehört.« Erneut ließ Plout die Kapsel kurz über den Tisch rollen. »Ich hasse es, sie zu verkaufen, aber es wird für uns alle ein Erlebnis sein; wir werden eins werden mit dem Tao, alle fünf. Ist es denn nicht fünfzig US-Dollar wert, trotz dieses beschissenen Krieges, mit dem Tao verschmelzen zu können? Vielleicht ist es das letzte Mal, daß Sie die Gelegenheit bekommen, JJ-180 zu nehmen; die Mexpolypen stehen schon Gewehr bei Fuß, um die Lieferungen aus Argentinien abzufangen. Und diese Bastarde sind tüchtig.«
    »Ist es denn wirklich etwas anderes als …«
    »Aber ja! Hören Sie, Himmel. Wissen Sie, was ich soeben fast mit meinem Taxi überfahren hätte? Eines von Ihren Wägelchen. Ich hätte es zerquetschen können, aber ich habe es nicht getan. Ich begegne ihnen jeden Tag; ich könnte Hunderte von ihnen zerstören … alle paar Stunden fahre ich am TF&D-Gebäude vorbei. Ich werde Ihnen etwas verraten: Die Behörden von Tijuana haben sich bereits bei mir erkundigt, ob ich wüßte, woher diese gottverdammten Karren stammen. Ich sagte ihnen, daß ich keine Ahnung hätte … aber Gott helfe mir, wenn wir heute nacht nicht alle eins werden mit dem Tao, dann werde ich …«
    »Na schön«, seufzte Himmel. »Ich kaufe Ihnen eine Kapsel ab.« Er griff nach seiner Brieftasche und sagte sich, daß das Ganze glatte Geldverschwendung war. Der Abend würde sicherlich mit einer Enttäuschung enden.
    Er wußte nicht, daß er sich nicht ärger hätte irren können.
     
    Gino Molinari, der Oberbefehlshaber der Erde in diesem Krieg gegen die Riegs, trug wie gewöhnlich eine Khakiuniform, an deren Brust nur ein einziger Orden prangte, das Goldene Kreuz Erster Klasse, das ihm vor fünfzehn Jahren von der UNO-Generalversammlung verliehen worden war. Molinari bedurfte, wie Dr. Eric Sweetscent feststellte, dringend einer Rasur; Bartstoppeln bedeckten seine untere Gesichtshälfte und erinnerten an einen schmutzigen, rußigen Fleck, der die Poren zu verstopfen schien.
    Dieser Mann sieht schrecklich aus, dachte Eric.
    Molinari hob weder den Kopf, noch veränderte sich sein dumpfer Gesichtsaudruck, als Virgils Begleiter nacheinander das Zimmer betraten, ihn anstarrten und entsetzt aufkeuchten. Zweifellos war er ein kranker, verbrauchter Mann; und wie sich erweisen sollte, war der erste Eindruck vollkommen richtig.
    Zu Erics Überraschung sah der Maulwurf in natura genauso aus wie kürzlich im Fernsehen; klein, schwächlich, machtlos. Obwohl es unmöglich schien, war es so, und trotzdem besaß er noch immer die Macht. Im rechtlichen Sinne hatte er seine Machtposition erhalten, war niemandem unterworfen – zumindest niemandem hier auf der Erde. Und Eric erkannte plötzlich, daß Molinari nicht beabsichtigte abzutreten – trotz seiner schlechten psychophysischen Verfassung. Vielleicht lag es an dem Anblick seiner verfallenen Gestalt, doch Eric zweifelte nicht daran, daß sich Molinari bewußt in dieser Art und Weise einer Gruppe weniger einflußreicher Persönlichkeiten stellte. Der Maulwurf blieb, was er war, verweigerte jede Pose, lehnte es ab, den kämpferischen Helden zu spielen. Entweder war er schon zu weit gegangen, um sich darüber Sorgen zu machen, dachte Eric, oder es standen zuviel und wichtigere Dinge auf dem Spiel, als daß er seine nachlassenden Kräfte damit verschwenden wollte, andere Menschen zu beeindrucken –

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