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Warte auf das letzte Jahr

Warte auf das letzte Jahr

Titel: Warte auf das letzte Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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erschien nicht auf der anderen Seite. Sie war verschwunden; nur Plout war noch da, und er flehte noch immer um Antwort, tastete mit den Händen nach seinen Gästen, die er nicht mehr sehen konnte.
    Isolation, dachte Bruce Himmel. Wir sind voneinander abgeschnitten. Schrecklich. Aber – es geht vorbei. Oder nicht?
    Er wußte es nicht. Und bei ihm hatte die Wirkung noch nicht einmal eingesetzt.
     
    »Diese Schmerzen«, krächzte UNO-Generalsekretär Gino Molinari, »peinigen mich meistens in der Nacht.« Er lag auf der großen, roten, handgearbeiteten Couch im Wohnzimmer von Virgil Ackermans 35er Wash-Apartment. Seine Augen hatte er geschlossen; das breite, fleischige Gesicht wirkte eingefallen, und die stoppeligen Wangen zitterten, während er sprach. »Ich bin schon untersucht worden; Dr. Teagarden ist mein Leibarzt. Er hat unzählige Tests vorgenommen, vor allem im Hinblick auf bösartige Geschwülste.«
    Es klingt, als hätte er das auswendig gelernt, dachte Eric. Seine Wortwahl wirkt fremd. Diese Sätze hat er schon tausendmal zu tausend verschiedenen Ärzten gesagt. Und – er leidet trotzdem.
    »Es gibt keine Geschwülste«, fuhr Molinari fort. »Rein medizinisch gesehen bestehen da keine Zweifel, wie mir von kompetenter ärztlicher Seite versichert wurde.« Mit seinen Worten, erkannte Eric plötzlich, verspottete er die übliche pompöse Ausdrucksweise der Mediziner. Der Maulwurf schien allen Ärzten feindselig gegenüberzustehen, da es ihnen nicht gelungen war, ihm zu helfen. »Gewöhnlich lautet die Diagnose auf akute Gastritis. Oder man stellt eine krampfartige Verengung des Magenausgangs fest. Oder gar eine hysterische Spätreaktion auf die Geburtswehen, die meine Frau vor drei Jahren ertragen mußte.« Halb zu sich selbst fügte er hinzu: »Kurz vor ihrem Tod.«
    »Was essen Sie für gewöhnlich?« wollte Eric wissen.
    Mühsam öffnete der Maulwurf die Augen. »Was ich esse? Ich esse nicht, Doktor. Absolut nichts. Die Luft ernährt mich; haben Sie das nicht gewußt? Ich brauche keine Speisen zu mir zu nehmen wie die gewöhnlichen Sterblichen. Ich bin anders.« Seine Stimme klang eindringlich und sogar leicht verbittert.
    »Belastet Sie das?« fragte Eric.
    Der Maulwurf starrte ihn an. »Sie glauben, daß mein Leiden psychosomatischer Natur ist – nach dieser altmodischen Pseudowissenschaft, die es darauf anlegt, die Menschen moralisch verantwortlich für ihre Krankheiten zu machen?« Er spuckte wütend aus; sein Gesicht verzerrte sich, und unvermittelt war seine Haut nicht mehr schlaff und wabbelig, sondern straff gespannt, als ob sie von innen heraus aufgeblasen würde. »Ich rede mir das alles nur ein, um mich der Verantwortung meines Amtes zu entziehen, eh? Hören Sie, Doktor, ich trage noch immer die Verantwortung – daran ändern auch die Schmerzen nichts. Halten Sie mich deshalb für neurotisch?«
    »Nein«, erklärte Eric. »Aber wie dem auch sei, ich bin nicht qualifiziert, psychosomatische Leiden zu kurieren; Sie müßten sich an …«
    »Da war ich schon«, unterbracht ihn der Maulwurf. Mit einem Satz war er auf den Beinen, stand schwankend da und blickte Eric ins Gesicht. »Holen Sie Virgil zurück; es ist sinnlos, daß Sie weitere Zeit damit verschwenden, mich zu untersuchen. Ganz abgesehen davon lehne ich es ab, untersucht zu werden. Es gefällt mir einfach nicht.« Unsicher näherte er sich der Tür und zog dabei seine rutschende Khakihose hoch.
    »Generalsekretär, Sie wissen, daß man Ihnen jederzeit Ihren Magen entfernen und ein Transplantat einpflanzen kann«, rief Eric ihm nach. »Die Operation ist einfach und fast immer erfolgreich. Ohne ein Studium Ihrer Fallgeschichte sollte ich das an sich nicht sagen, aber vielleicht muß ihr Magen in den nächsten Tagen ausgewechselt werden. Risiko hin, Risiko her.« Er war überzeugt, daß Molinari die Operation überleben würde; offensichtlich war seine Furcht phobischen Ursprungs.
    »Nein«, erklärte Molinari entschlossen. »Ich werde es nicht zulassen; es ist meine Entscheidung. Statt dessen kann ich auch sterben.«
    Eric starrte ihn an.
    »Gewiß«, nickte Molinari. »Auch wenn ich der Generalsekretär der UNO bin. Ist Ihnen denn niemals der Gedanke gekommen, daß ich vielleicht sterben möchte, daß diese Schmerzen, diese körperliche – oder psychosomatische – Erkrankung einen Ausweg für mich darstellt? Ich möchte nicht mehr weitermachen. Oder? Wer weiß? Welchen Unterschied macht das schon? Ach, zum Teufel damit!« Er riß die

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