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Warte auf das letzte Jahr

Warte auf das letzte Jahr

Titel: Warte auf das letzte Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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daß du das Leben ablehnst, genau wie die Rolle, die du spielst – die Rolle des Transplantchirurgen. Irgendein kindlicher, unbewußter Teil deines Ichs lehnt die Gesellschaft anderer Menschen ab.«
    »Nun, ist das denn schlecht?« Er hatte versucht, seine Frage scherzhaft klingen zu lassen und diese pseudopsychologische, langweilige Diskussion in unterhaltsamere Bahnen zu lenken … in Bahnen, um die seine Gedanken kreisten, sobald er ihre wohlgeformten blaßgrünen, bloßen Brüste ansah, die von innen heraus zu leuchten schienen.
    »Es ist unaufrichtig«, sagte Kathy.
    Als er das hörte, hatte er tief in seinem Innern Schmerz empfunden, und so auch jetzt. Der Maulwurf schien es zu bemerken.
    »Du betrügst deine Mitmenschen«, fuhr Kathy fort. »Zum Beispiel mich.« Mitleidig hatte sie dann das Thema gewechselt. Er war erleichtert gewesen. Aber trotzdem – warum hatte es ihn so verletzt? Später, als sie geheiratet hatten, verlangte Kathy von ihm, daß er seine Videosammlung in sein Arbeitszimmer schaffen sollte. Sie behauptete, es würde sie stören, wenn sich die Bänder in den von ihnen beiden bewohnten Räumen ihres Konap befanden. Aber sie wußte nicht – oder sagte es zumindest nicht –, wieso sie davon so irritiert wurde. Und wenn er an den Abenden den alten Drang verspürte, seine Bänder abzuspielen, beschwerte sich Kathy.
    »Warum?« fragte der Maulwurf.
    Er wußte es nicht; er hatte es damals nicht verstanden und verstand es auch jetzt noch nicht. Aber es war ein unheilverkündendes Zeichen gewesen; er bemerkte ihre Abneigung, doch die Bedeutung entging ihm, und sein Unvermögen, die Einflüsse zu durchschauen, die sein Eheleben bestimmten, machte ihn tief unglücklich.
    In der Zwischenzeit war er durch Kathys Vermittlung von Virgil Ackerman eingestellt worden. Seine Frau hatte es ihm ermöglicht, einen bemerkenswerten Schritt nach vorn in der ökonomischen und sozialen Hierarchie des Lebens zu machen. Und natürlich war er ihr dankbar dafür; wie hätte es auch anders sein können? Damit war sein Ehrgeiz befriedigt gewesen.
    Die Art, wie er das erreicht hatte, war ihm nicht übermäßig wichtig erschienen; viele Frauen halfen ihren Ehemännern dabei, Karriere zu machen. Und umgekehrt. Und dennoch …
    Es ärgerte Kathy. Obwohl es ihre Idee gewesen war.
    »Sie hat Ihnen Ihre Stellung besorgt?« fragte der Maulwurf stirnrunzelnd. »Und danach hielt sie es Ihnen vor? Allmählich beginne ich zu verstehen.« Sein Gesicht hatte sich verfinstert.
    »Eines Nachts, als wir schon im Bett waren …« Er verstummte; es fiel ihm schwer weiterzusprechen. Es ging nur ihn etwas an. Und es war zu unangenehm.
    »Ich möchte, daß Sie mir davon erzählen«, verlangte der Maulwurf. »Alles.«
    Er zuckte die Achseln. »Nun – sie sagte, sie sei es müde, weiter mit einer Lüge zu leben. Natürlich meinte sie mit der ›Lüge‹ meine Stellung.«
    Nackt hatte sie im Bett gelegen, ihr weiches Haar kräuselte sich über ihre Schultern – damals hatte sie es noch länger getragen –, da sagte sie plötzlich: »Du hat mich nur geheiratet, damit du diesen Posten bekommst. Und du bemühst dich nicht einmal, weiter aufzusteigen; ein Mann sollte seinen Weg allein machen.« Tränen traten in ihre Augen, und sie drehte sich zur Seite, um zu weinen – jedenfalls schien es so, als ob sie weinen würde.
    »Aufsteigen?« hatte er verblüfft wiederholt.
    »Karriere machen«, sagte der Maulwurf. »Eine bessere Stellung zu bekommen. Das meinen sie, wenn sie etwas Derartiges sagen.«
    »Aber ich liebe meine Arbeit«, erwiderte er.
    »Also bist du schon zufrieden«, stieß Kathy verbittert hervor, »wenn es nur so aussieht, als ob du erfolgreich seist. Obwohl es gar nicht stimmt.« Und schluchzend fügte sie hinzu: »Außerdem bist du im Bett ein Versager.«
    Er stand auf und setzte sich allein ins Wohnzimmer ihres Konap und blieb dort lange Minuten, bis er wie von einem Drang beherrscht in sein Arbeitszimmer ging und eines von seinen kostbaren Johnny-Winters-Bändern in den Projektor schob. Unglücklich saß er da und sah Johnny Winters zu, wie er einen Hut nach dem anderen aufsetzte und unter jedem zu einem anderen Menschen wurde, als plötzlich …
    … Kathy im Türrahmen erschien, weich und nackt und schlank, mit verzerrtem Gesicht. »Hast du es gefunden?«
    »Was gefunden?«
    Er schaltete den Projektor ab.
    »Das Band«, erklärte sie, »das ich gelöscht habe.«
    Er starrte sie nur an, unfähig zu akzeptieren, was er gehört

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