Warte auf das letzte Jahr
sein. Es gab keinen Beweis, daß das Leben an sich ein Segen war. Vielleicht waren einige der Menschen dieser Ansicht, aber offensichtlich nicht alle. Für Gino Molinari war das Leben ein Alptraum. Der Mann war krank, von Schuldgefühlen geplagt, und er stöhnte unter der Last einer ungeheuren, hoffnungslosen Aufgabe. Er besaß weder das Vertrauen seines eigenen Volkes, noch genoß er den Respekt oder die Wertschätzung der Bevölkerung des Lilisterns. Und dann gab es noch persönliche Gesichtspunkte, die Erfahrungen seines eigenen Lebens, der plötzliche, unerwartete Tod seiner Frau, die Schmerzen, die ihn plagten … Aber wahrscheinlich, begriff Eric plötzlich, gab es noch andere Gründe. Gründe, die nur der Maulwurf kannte. Entscheidende Gründe, die er nicht verriet.
»Würden Sie es auch tun?« fragte Molinari.
Nach einer langen, sehr langen Pause antwortete Eric: »Ja. Es wäre eine Vereinbarung zwischen uns beiden. Sie würden darum bitten, und ich würde Ihnen diesen Wunsch erfüllen. Eine Sache, die nur Sie und mich betrifft.«
»Ja.« Der Maulwurf nickte, und sein Gesichtsausdruck verriet Erleichterung; er schien sich ein wenig zu entspannen, ruhiger zu werden. »Ich verstehe jetzt, warum Virgil Sie empfohlen hat.«
»Vor nicht allzu langer Zeit«, murmelte Eric, »stand ich selbst kurz davor, meinem Leben ein Ende zu machen.«
Der Maulwurf fuhr zusammen; er starrte Eric Sweetscent mit einem durchdringenden Blick an, der die tiefsten, stillsten Winkel seiner Seele erreichte. »Wirklich?« fragte der Maulwurf.
»Ja.« Er nickte. Und deshalb verstehe ich dich, dachte er, deshalb weiß ich, was in dir vorgeht, auch wenn ich deine Gründe nicht genau kenne.
»Aber ich«, erklärte der Maulwurf, »möchte die Gründe kennen.« Eric war wie gelähmt. Konnte Molinari Gedanken lesen? Er war nicht in der Lage, dem Blick der durchdringenden Augen auszuweichen, und er begriff, daß der Maulwurf keine parapsychologischen Fähigkeiten besaß; es mußte etwas Schnelleres, Stärkeres als Telepathie sein.
Der Maulwurf reichte ihm die Hand; reflexartig ergriff Eric sie. Und sobald er sie berührt hatte, ließ der Maulwurf seine Hand nicht mehr los, sondern verstärkte den Druck, so daß Schmerz in Erics Arm aufwallte. Der Maulwurf versuchte, ihn zu verstehen, versuchte – wie Phyllis Ackerman vor nicht allzu langer Zeit – alles zu erfahren, was über ihn zu erfahren war. Aber der Maulwurf stellte keine glatten, platten Vermutungen auf; dem Maulwurf ging es um die Wahrheit – die Wahrheit, wie Eric Sweetscent sie sah. Ihm blieb keine Wahl; er mußte dem Maulwurf alles verraten.
In Wirklichkeit war die Ursache nur geringfügig gewesen. Wenn man davon erzählte – und er war nie so närrisch gewesen, es irgend jemandem zu erzählen, nicht einmal seinem professionellen Gehirnklempner –, wäre es absurd erschienen, hätte ihn in den Augen der anderen, und zu Recht, als Idiot dastehen lassen. Oder, noch schlimmer, als seelisch gestört.
Es war ein Zwischenfall gewesen, der nur ihn und …
»Ihre Frau«, stellte der Maulwurf fest, während er ihn unverwandt ansah. Und noch immer seine Hand umklammerte.
»Ja.« Eric nickte. »Meine Videobänder … über Jonathan Winters, den großen Komiker des zwanzigsten Jahrhunderts.«
Seine berühmte Sammlung hatte ihm einen Vorwand geliefert, Kathy Lingrom einzuladen. Sie hatte den Wunsch geäußert, sie sich anzusehen, und ihn in sein Konap begleitet.
»Und«, stellte der Maulwurf fest, »sie hat den tieferen psychologischen Grund erkannt, der Sie dazu trieb, diese Bänder zu sammeln. Etwas ›Bedeutungsvolles‹ über Ihre Persönlichkeit.«
»Ja.« Eric nickte bedrückt.
Nachdem Kathy zusammengekauert die Nacht über in seinem Wohnzimmer dagehockt hatte, langbeinig und weich wie eine Katze, die bloßen Brüste nach der neuesten Mode schwach grün gefärbt, gebannt auf den Bildschirm starrend und lachend – wer würde dabei nicht lachen? –, hatte sie nachdenklich erklärt: »Weißt du, Winters’ Talent, sich in eine Rolle hineinzuversetzen – das hat ihn berühmt gemacht. Und sobald er diese Rolle spielte, verschmolz er mit ihr; er schien wirklich eins mit ihr zu sein.«
»Ist das schlecht?« hatte Eric gefragt.
»Nein. Aber es verrät mir, warum Winters dir so sehr gefällt.« Kathy berührte leicht ihr kaltes, beschlagenes Glas, senkte ihre langen Wimpern. »Aber da ist dieser Teil in ihm, der sich nicht durch die Rolle verdrängen läßt. Es bedeutet,
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