Warte auf das letzte Jahr
Eric. »Auf diese Art erhalte ich vielleicht ein wenig Gesellschaft.«
»Sie meinen mich?« fragte Molinari. »Sehr unwahrscheinlich, Sweetscent. Ich bin ein Geschöpf, das jede Nacht sein Leben verliert. Gegen zehn Uhr ziehe ich mich zurück und bin dann gegen elf gewöhnlich wieder auf den Beinen. Ich …« Er schwieg und schien nachzudenken. »Nein, die Nacht ist für mich keine gute Zeit, wirklich nicht.«
Es stand dem Mann deutlich im Gesicht geschrieben.
5
In der Nacht, in der Eric Sweetscent vom 35er Wash zurückkehrte, begegnete er seiner Frau in ihrem Konap am Stadtrand von San Diego. Kathy war vor ihm eingetroffen. Die Zusammenkunft war natürlich unvermeidlich.
»Ah, zurück vom kleinen roten Mars«, stellte sie fest, als sie die Wohnzimmertür hinter ihm schloß. »Was hast du die zwei Tage hindurch getrieben? Vielleicht mit den anderen Jungen und Mädchen Murmeln gespielt und alle besiegt? Oder habt ihr Abziehbilder von Tom Mix getauscht?« Kathy saß auf der Couch, hielt in der Hand ein Glas und hatte ihr Haar zurückgekämmt und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, so daß sie wie ein Teenager aussah; sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, und ihre Beine waren lang und schlank, so wohlgeformt wie ihre Fesseln. Ihre Füße waren nackt, und jeder Zehennagel war mit einem Bild versehen. Er bückte sich, um sie sich genau anzuschauen: Es waren Szenen, die die Raubzüge der Normannen darstellten. Die Nägel der beiden kleinsten Zehen wiesen Darstellungen auf, die zu obszön waren, als daß er ihren Anblick ertragen konnte; er ging in den Korridor und hing seinen Mantel in den Garderobenschrank.
»Wir haben uns über den Krieg unterhalten«, erklärte er.
»Habt ihr das? Und wer? Du und Phyllis Ackerman? Oder war noch jemand zugegen?«
»Es waren alle da. Nicht nur Phyllis.« Er überlegte, was er sich zu essen machen sollte; sein Magen war leer, und ihm war übel. Allerdings empfand er keine Schmerzen. Vielleicht stellten sie sich später ein.
»Gab es irgendeinen besonderen Grund dafür, daß man mich nicht eingeladen hat?« Ihre Stimme traf ihn wie eine Peitsche, so daß er unwillkürlich zusammenzuckte; sein biochemisches tierisches Selbst fürchtete sich vor der Veränderung, die ihm – und auch ihr – bevorstand. Offensichtlich trieb etwas sie beide dazu, die Konfrontation zu suchen; sie war ebenso gefangen und hilflos wie er.
»Es gab keinen besonderen Grund.« Er betrat die Küche und fühlte sich leicht benommen, als ob Kathys Worte die Empfindlichkeit seiner Sinne herabgesetzt hätten. Viele derartige Begegnungen hatten ihn gelehrt, daß es besser war, wenn er sich zumindest körperlich von ihr entfernte. Nur alte Ehemänner, nur müde, erfahrene Ehemänner, kannten diesen Trick. Die Neulinge hingegen … Nun, sie hatten es schwerer.
»Ich verlange eine Antwort«, fauchte Kathy. Sie stand im Türrahmen. »Ich möchte wissen, warum man mich vorsätzlich davon ausgeschlossen hat.«
Gott, was für einen anziehenden Körper seine Frau doch besaß; natürlich trug sie nichts unter ihrem schwarzen Kleid, und jede ihrer Kurven konfrontierte ihn mit ihrer sinnlichen Vertrautheit. Aber wo war die sanfte, weiche, vertraute Seele, die zu dieser äußeren Hülle gehörte? Der Haß hatte dazu geführt, daß der Fluch – der Fluch, der über dem Hause Sweetscent lag, wie er es gelegentlich nannte – seine volle Wirkung entfaltet hatte; er stand einer Kreatur gegenüber, die auf der körperlichen Ebene die sexuelle Perfektion selbst darstellte und auf der seelischen Ebene …
Eines Tage würde ihre Härte, ihre Unbeweglichkeit alles durchdringen und ihre körperliche Vollkommenheit zerstören. Und dann? Schon jetzt war es in ihrer Stimme spürbar, die sich von jener vor ein paar Jahren oder gar von jener vor ein paar Monaten unterschied. Arme Kathy, dachte er. Denn wenn die tödlichen Kräfte des Eises und der Kälte deine Lenden, deine Brüste und Hüften und deinen Po ebenso durchdringen wie dein Herz – und tief im Herzen herrschen sie bereits –, dann wirst du keine Frau mehr sein. Und das wirst du nicht überleben. Gleichgültig, ob nun ich oder jemand anders etwas dagegen zu unternehmen versucht.
»Man hat dich ausgeschlossen«, erklärte er bedächtig, »weil du eine Plage bist.«
Sie riß die Augen weit auf; für einen Moment drückte ihr Blick Wachsamkeit und Verwunderung aus. Sie begriff nicht, und ihre Verständnislosigkeit ließ sie sekundenlang wieder menschlich
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