Warte, bis du schlaefst
Selbst wenn Mack heute zurückkommen würde und selbst wenn ihm seine Sachen noch passen würden, sie wären wahrscheinlich aus der Mode.«
»Versteh mich nicht falsch«, sagte ich. »Ich finde, dass das eine gute Idee ist, aber ich finde auch, dass es das Letzte ist, woran du zwei Tage vor deinem Abflug nach Griechenland denken solltest. Hör mal, Mom, wäre es nicht besser, wenn du es einfach mir überlässt, Macks Kleider durchzusehen und auszusortieren?« Noch während ich das sagte, ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass möglicherweise vor zehn Jahren niemand auf die Idee gekommen war, die Taschen von Macks Jacken und Hosen zu durchsuchen, die er hier in der Wohnung zurückgelassen hatte. Lucas Reeves hatte in seinem Bericht angegeben, dass nichts Wichtiges in der Kleidung in Macks Studentenwohnung gefunden wurde.
Ohne lange zu zögern, sogar mit sichtlicher Erleichterung, willigte Mom ein. »Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich tun würde, Carolyn«, sagte sie. »Du warst mir eine so
große Stütze in dieser ganzen Zeit. Doch ich kenne dich. Erst vor zwei Wochen hast du aufgehört zu arbeiten, und ich merke, dass du keine Ruhe findest. Was wirst du tun, während ich weg bin?«
Sie hatte mir unabsichtlich eine Antwort geliefert, die wenigstens zum Teil aufrichtig war. »Wir wissen, dass diese Wohnung im Handumdrehen einen Abnehmer finden wird«, sagte ich. »Ich hatte nie die Absicht, ewig in dieser Einzimmerwohnung zu bleiben. Ich werde mich selbst nach einer größeren Wohnung umsehen. Du wirst mir doch erlauben, mir einige von den Möbeln auszusuchen, die du nicht behalten willst, nicht wahr?«
»Natürlich. Sag einfach Elliott Bescheid. Eine anständige kleine Wohnung ist eine Ausgabe, die er ganz bestimmt befürworten wird.« Elliott war der Verwalter des Vermögens, das mir mein Großvater hinterlassen hatte.
Mom nahm den letzten Schluck Tee aus ihrer Tasse und erhob sich. »Ich muss jetzt los. Helene bekommt wieder einen Anfall, wenn ich zu spät zu meinem Friseurtermin komme. Für das viele Geld, das sie von mir kriegt, könnte sie eigentlich ein bisschen bescheidener auftreten.« Sie gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und fügte dann hinzu: »Wenn du nach einer Wohnung suchst, dann achte bitte darauf, dass es ein Haus mit Portier ist. Mir war nie wohl bei dem Gedanken, dass du in einem Gebäude wohnst, wo niemand weiß, wer alles eingelassen wird. Ich habe die Nachrichten gehört. Es gibt kein Lebenszeichen von dem Mädchen, das in dem Haus neben deinem gewohnt hat und verschwunden ist. Gott steh ihrer armen Familie bei.«
Ich war froh um Moms Friseurtermin. Nachdem ich nunmehr fest entschlossen war, Mack aufzuspüren, schien mir,
als dürfe ich bei meiner Suche keine Zeit mehr verlieren. Räumlich gesehen, war er uns so nah gewesen, als er am Sonntag diese Nachricht in die Kollekte geschmuggelt hatte. Das Zusammentreffen mit dem Ehepaar Kramer hatte ein beklemmendes Gefühl des Unbehagens bei mir hinterlassen. Erinnerungen können mit der Zeit verblassen, doch auf meine Fragen hatten sie einander widersprochen, was Macks Kleidung betraf und wann genau sie ihn zuletzt gesehen hatten. Außerdem hatte Lil Kramer sichtlich schockiert reagiert, als ich ihnen von Macks Besuch in der Kirche erzählt hatte. Warum? Stellte Mack eine Bedrohung für sie dar? Was wussten sie, was ihnen solche Angst einflößte?
Ich hatte bereits den Bericht von Privatdetektiv Reeves in der Aktenschublade von Dads Schreibtisch gefunden. Jetzt wollte ich mir die Adressen von Macks ehemaligen Wohnungsgenossen Bruce Galbraith und Nicholas DeMarco heraussuchen. Nick hatte anfänglich noch regelmäßig mit Dad in Kontakt gestanden. Doch mit der Zeit hatte er sich naturgemäß immer seltener gemeldet. Das letzte Mal hatte ich ihn bei der Messe zu Dads Begräbnis gesehen, doch diesen Tag habe ich nur ganz verschwommen in Erinnerung.
Dads Arbeitszimmer war nicht besonders groß, doch, wie er zu sagen pflegte, groß genug für seine Bedürfnisse. Der riesige Schreibtisch beherrschte den holzgetäfelten Raum. Zum Entsetzen meiner Mutter hatte er darauf bestanden, den Fußboden mit dem abgetretenen Teppich aus dem Wohnzimmer seiner Mutter auszulegen. »Er erinnert mich an meine Herkunft, Liv«, entgegnete er, wenn sie ihn wieder einmal dazu bewegen wollte, sich von ihm zu trennen. Ein abgewetzter Ledersessel mit Fußpolster war sein Lieblingsplatz am Morgen. Er stand immer sehr früh auf,
kochte sich einen Kaffee und
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