Warte, bis du schlaefst
die gesamte Nachbarschaft. Kennen Sie Leesey Andrews?«
Die Frage überraschte mich. Hätte ich sie gekannt, hätte
ich das doch sicher sofort erwähnt, als er anrief und um ein Gespräch bat. »Nein, ich kenne sie nicht«, antwortete ich.
»Haben Sie ihr Bild im Fernsehen gesehen?«
»Ja, gestern Abend.«
»Und Sie hatten nicht das Gefühl, sie schon einmal irgendwo hier in der Gegend gesehen zu haben?«, hakte er nach, als ob er sich nicht sicher sei, ob ich ausweichen wollte.
»Nein, aber da sie gleich nebenan wohnt, könnte ich ihr sicherlich auf der Straße begegnet sein. Es gibt eine ganze Reihe von jungen Studentinnen in diesem Haus.« Mir war klar, dass ich etwas irritiert klang, aber das war ich schließlich auch. Wollte Barrott etwa darauf hinaus, dass ich etwas mit dem Verschwinden dieser jungen Frau zu tun haben könnte, weil ich selbst einen Bruder hatte, der verschwunden war?
Barrott machte ein ernstes Gesicht. »Ms. MacKenzie, Ihnen ist hoffentlich klar, dass ich Ihnen dieselben Fragen stelle, die ich und die anderen Kollegen allen Leuten hier in der unmittelbaren Nachbarschaft stellen. Weil wir uns schon kannten und weil Sie wohl am ehesten nachvollziehen können, was ihr Vater und ihr Bruder im Augenblick durchmachen, habe ich gehofft, dass Sie uns vielleicht weiterhelfen können. Sie sind eine äußerst attraktive junge Frau, und als angehende Anwältin haben Sie gelernt, Leute genau zu beobachten und einzuschätzen.« Er beugte sich etwas vor, die Hände gefaltet. »Laufen Sie manchmal nachts allein in dieser Gegend herum, sagen wir, nachdem Sie zum Essen ausgegangen sind oder im Kino waren, oder sind Sie manchmal schon sehr früh unterwegs?«
»Ja, das kommt vor.« Meine Stimme klang jetzt nicht mehr so schroff. »Morgens gehe ich regelmäßig gegen
sechs Uhr eine Runde joggen, und wenn ich mich abends mit Freunden hier in der Gegend treffe, gehe ich meistens zu Fuß nach Hause.«
»Haben Sie jemals das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden oder dass Ihnen jemand folgt?«
»Nein. Andererseits muss ich sagen, dass ich selten nach Mitternacht unterwegs bin, und um diese Zeit ist im Village immer noch ziemlich viel auf den Straßen los.«
»Ich verstehe. Dennoch wäre es gut, wenn Sie die Augen für uns offen halten. Diese Art von Tätern findet, ähnlich wie Brandstifter, manchmal Vergnügen daran, die Aufregung zu beobachten, die sie erzeugt haben. Und es gibt noch etwas, womit Sie uns vielleicht helfen könnten. Ihre Nachbarin vom ersten Stock, Mrs. Carter, hält große Stücke auf Sie, nicht wahr?«
»Ich mag sie auch sehr. Sie hat schlimme Arthritis, und bei schlechtem Wetter fürchtet sie sich hinauszugehen«, erklärte ich. »Sie ist schon ein paarmal schlimm gestürzt. Ich schaue regelmäßig nach ihr und kaufe das eine oder andere für sie mit ein, wenn sie etwas braucht.« Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und fragte mich, worauf er mit seiner Bemerkung hinauswollte.
Barrott nickte. »Das hat sie mir erzählt. Eigentlich hat sie die ganze Zeit in den höchsten Tönen von Ihnen geschwärmt. Aber Sie wissen ja, wie das mit manchen alten Menschen ist. Sie haben Angst davor, selbst Ärger zu bekommen, wenn sie mit der Polizei sprechen. Meine Tante war auch so. Selbst wenn sie mit eigenen Augen gesehen hätte, dass ein Nachbar das Auto eines anderen Nachbarn angefahren hat, so hätte sie das niemals gemeldet. ›Das geht mich nichts an‹, das war ihr ständiger Spruch.« Er blickte nachdenklich auf den Fußboden. »Mir ist aufgefallen,
dass Mrs. Carter sehr nervös war, als sie mit mir gesprochen hat«, fuhr er fort. »Doch sie hat mir auch erzählt, dass sie sehr gerne am Fenster sitzt. Sie hat behauptet, sie würde Leesey auf dem Foto nicht erkennen, doch ich hatte das Gefühl, dass sie sie sehr wohl erkannt hat. Es könnte sein, dass sie Leesey nur auf der Straße hat vorbeilaufen sehen und nicht in die Ermittlungen verwickelt werden möchte, doch wenn Sie eine Tasse Tee mit ihr trinken, wird sie Ihnen gegenüber möglicherweise etwas gesprächiger sein.«
»Gut, das werde ich tun«, sagte ich bereitwillig. Mrs. Carter mag zwar alt sein, aber ihr entgeht normalerweise nichts, und sie sitzt fast den ganzen Tag am Fenster, dachte ich. Auf jeden Fall weiß sie bestens über alles Bescheid, was sich zwischen den Nachbarn in den drei Stockwerken über ihr abspielt. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass ich jetzt Ermittlungen für Barrott führen sollte, wenn doch meine
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