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Warte, bis du schlaefst

Warte, bis du schlaefst

Titel: Warte, bis du schlaefst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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gewesen, doch als Gregg gegen elf Uhr nach draußen trat,
war die Sonne durch die Wolken gebrochen, und er spürte, wie sich seine Stimmung etwas hob. An einem so schönen Frühlingsvormittag war es einfach undenkbar, dass seine kleine Schwester, die lebenslustige, hübsche Leesey, nicht mehr am Leben sein sollte.
    Doch wenn sie nicht tot war, wo war sie dann?
    Hoffentlich ist es nur ein Nervenzusammenbruch oder ein Anfall von Gedächtnisschwund, betete Gregg, während er die drei Häuserblocks bis zum Park mit langen Schritten zurücklegte. Dort angekommen, beschloss er, sich nach Norden zu wenden und beim Central Park Boathouse den Bogen zurückzulaufen.
    Rechter Fuß, linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß. Lass … sie … le…ben … Lass … sie … le…ben … Er betete im Rhythmus seiner Schritte.
    Eine Stunde später, müde, aber etwas weniger angespannt, war er gerade auf dem Weg zu seiner Wohnung, als sein Handy klingelte. Mit widerstreitenden Gefühlen von Hoffnung und Angst holte er es aus seiner Jackentasche, klappte es auf und sah, dass der Anruf von seinem Vater kam.
    Die Worte »Hallo, Dad« erstarben ihm auf den Lippen, als er kaum unterdrücktes Schluchzen vernahm. Oh Gott, dachte er, sie haben ihre Leiche gefunden.
    »Leesey«, brachte David Andrews heraus. »Gregg, es ist Leesey. Sie hat angerufen !«
    »Was hat sie?«
    »Sie hat vor weniger als zehn Minuten eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Ich bin gerade nach Hause gekommen. Ich kann es nicht fassen. Ich habe ihren Anruf nur ganz knapp verpasst.«
    Wieder hörte Gregg Andrews seinen Vater schluchzen.

    »Dad, was hat sie gesagt? Wo ist sie?«
    Das Schluchzen hörte abrupt auf. »Sie hat gesagt, … dass … sie mich lieb hat, aber dass sie jetzt allein sein muss. Sie hat mich gebeten, ihr zu verzeihen. Sie hat gesagt … sie hat gesagt, … dass sie an Muttertag wieder anruft.«

25
    Ich verbrachte den Samstagvormittag in Macks Zimmer in der Wohnung in Sutton Place. Ich kann nicht behaupten, mich dort pudelwohl gefühlt zu haben, aber es war doch so, dass von Macks Präsenz für mich dort nichts mehr spürbar war. In den ersten Tagen nach Macks Verschwinden durchwühlte Dad seinen Schreibtisch in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis darauf zu finden, wohin er gegangen sein könnte, doch alles, was er fand, waren die üblichen Hinterlassenschaften eines Collegestudenten – Prüfungsnotizen, Postkarten, Briefpapier, Schreibutensilien. Ein Ordner enthielt eine Kopie von Macks Bewerbung für die Duke Law School und deren Antwortschreiben, in dem die Zulassung mitgeteilt wurde. Er hatte ein riesiges »JA!« darauf gekritzelt.
    Doch Dad fand nicht, wonach er gesucht hatte: Macks Terminkalender, der vielleicht Aufschluss darüber hätte geben können, mit wem er sich vor seinem Verschwinden zuletzt verabredet hatte. Vor Jahren schon hatte Mom unsere Haushälterin angewiesen, die Wimpel herunterzuholen, die Mack an der Wand aufgehängt hatte, sowie das Korkbrett, das mit Gruppenfotos von ihm und seinen Freunden vollgepinnt war. Sämtliche Leute, die auf diesen Bildern zu sehen waren, wurden von der Polizei und später auch von dem Privatdetektiv befragt.
    Die braun-beige Tagesdecke, die dazu passenden Kissen
und die kontrastierenden Vorhänge waren immer noch dieselben, genauso wie der kakaobraune Teppichboden.
    Auf der Kommode stand immer noch ein Foto von uns vieren. Ich blickte lange darauf und fragte mich, ob sich mittlerweile bei Mack vielleicht schon ein paar graue Strähnen an den Schläfen zeigten. Es war schwer, sich das vorzustellen. Vor zehn Jahren hatte er noch so ein jungenhaftes Aussehen besessen. Und jetzt – nicht nur, dass er längst kein Collegestudent mehr war, vermutlich war er gar zu einem Verdächtigen in mehr als einem Fall von Entführung und/oder Mord geworden.
    Es gab zwei Schränke in dem Zimmer. Als ich alle Türen öffnete, schlug mir der schwache muffige Geruch entgegen, der immer in selten belüfteten engen Räumen entsteht.
    Ich nahm einen Stapel von Jacketts und Hosen aus dem ersten Schrank und legte sie auf das Bett. Alle waren mit Plastikhüllen von der Reinigung bedeckt, und ich erinnerte mich, dass Mom, als Mack ungefähr ein Jahr verschwunden war, seine sämtlichen Sachen in die Reinigung gebracht und wieder zurück in den Schrank gehängt hatte. Ich erinnerte mich, dass Dad damals gesagt hatte: »Livvy, lass uns die ganzen Sachen weggeben. Wenn Mack zurückkommt, werde ich mit ihm

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