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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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aufgerollt und hält das Knäuel stolz in der Hand. Nun erst nimmt er wieder den Maschinenlärm und den Geruch des Schmieröls wahr. Dann sieht er, wie der Mann mit dem Pferdeschwanz auf ihn zukommt. Der Mann hält die Hand auf, und Madan legt das Knäuel hinein. Chandan Chandran gibt ihm einen Wink, daß er ihm folgen soll.
    Sie gehen zur Treppe zurück und noch ein Stockwerk höher. Auf dem flachen Dach ist eine Überdeckung aus Holz und langen Grashalmen. Ein Stuhl steht dort, daneben liegen ein paar Schilfmatten.
    »Bist du auch taub?« fragt Chandan Chandran.
    Madan schüttelt den Kopf.
    »Wenn du bleiben und bei mir arbeiten willst, kannst du hier schlafen, und du kriegst Frühstück und Abendessen.« Er sieht Madan durchdringend an.
    Ich habe Hunger, denkt Madan. Er nickt und zeigt auf seinen Mund.
    Der langhaarige Mann geht vor ihm die Treppe hinunter, an den mechanisierten Webstühlen vorbei zu einem kleinen Zimmer in der Ecke. Dort sitzen Subhash und die Weber auf dem Boden und essen.
    Madan füllt seinen Teller mit Reis und Dhal und setzt sich zu ihnen. Er ist neun, aber er fühlt sich erwachsen.

1995
Rampur
     
     
     
    Charlotte band ihrem Vater seinen Latz um. Es war ein großer Latz, den Sanat, der vorige Dari, auf ihre Bitte genäht hatte. Sie hatte es schrecklich gefunden, als sie ihren Vater zum ersten Mal füttern mußte. Ihm einen Löffel mit warmem Brei in den Mund zu schieben, ohne daß der Brei auch überall ringsum landete, erwies sich als unmöglich. Inzwischen wußte sie, wie sie es anstellen mußte, und der Latz war eigentlich nicht mehr nötig, aber je mehr sie sich an feste Gewohnheiten hielt, um so ruhiger war er. Sie rührte im Joghurt und gab ihm einen Löffel voll. Ihr Vater schmatzte zufrieden. Hema mußte die Windel wechseln, sie zog Fliegen an, die ihn sonst von seinem Mittagsschlaf abhalten würden.
    »Schmeckt’s?« fragte sie.
    »Ja, lecker.«
    Charlotte staunte, daß er ihr eine richtige Antwort gab. Es war so lange her, daß sie ein normales Gespräch mit ihm geführt hatte. Hin und wieder hatte er einen lichten Moment, aber das kam immer seltener vor. »Ist genug Zucker drin?«
    »Ich hab doch gesagt, daß es lecker ist.«
    »Das höre ich gern.«
    Sie stopfte ihm einen vollen Löffel in den Mund, und er schlürfte den Joghurt mit großem Appetit.
    »Gehst du zum Fest?« fragte er und leckte sich den Joghurt von den Lippen.
    »Zu welchem Fest?«
    »Na welches schon. Das vom Club, wir bestehen demnächst zweihundert Jahre.«
    »Ja, das hatte ich vor.« Sie fragte sich, wieso er von dem Fest wußte. Sie hatte es ihm nicht erzählt, Hema kümmerte sich nie um solche Dinge, und keine der Damen, die in den letzten Tagen hereingeschaut hatten, war bei ihm oben gewesen. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß er sich von ganz allein daran erinnerte.
    »Ich will die Uniform tragen.«
    »Du willst mit aufs Fest?«
    »Das versteht sich doch wohl. Ich bin das älteste Mitglied, ich war schon dabei, als wir noch keine Inder in den Club aufgenommen haben.« Er zeigte auf eine Plakette, die an der Wand hing und die er Jahre vor seinem Unfall bei einem Tennisturnier des Clubs gewonnen hatte. »Hol die Uniform aus dem Schrank.«
    »Erst noch einen Happen«, sagte sie und hielt ihm den vollen Löffel vor den Mund.
    Er preßte die Lippen aufeinander.
    »Komm, Vater, iß eben noch das Schälchen leer.«
    »Ich will nicht mehr. Ich will meine Uniform«, zischelte er durch einen kleinen Spalt zwischen den Lippen.
    »Noch zwei Löffel.«
    Der General begann leise zu weinen.
    Der Löffel wartete vor seinem Mund. »Komm, das Schälchen ist fast leer.«
    »Ich will nicht.«
    »Du kriegst deine Uniform, wenn das Schälchen leer ist.«
    Mit Schwung schlug er ihr den Löffel aus der Hand. »Ich will meine Uniform!« Der Joghurt klatschte gegen die Wand.
    »Warum machst du das jetzt?« Sie hob den Löffel wieder auf. »Es war fast alle. Du mußt gut essen.«
    »Iß es doch selbst auf, du siehst ja aus wie eine Bohnenstange.«
    Es stimmte, daß Charlotte bei ihren eigenen Mahlzeiten immer sparsamer wurde, weil sie wollte, daß der Besuch Kekse und Zucker zum Tee bekam. Hema hatte ihr vor ein paar Tagen – auf seine bescheidene, zurückhaltende Art – zu verstehen gegeben, daß sie mehr essen müsse. Sie hatte ihm erklärt, bei der extremen Hitze habe sie nun mal keinen Appetit. Deshalb wußte niemand, daß sie schon seit Tagen mit knurrendem Magen zu Bett ging.
    » ICH WILL MEINE U-NI-FORM !«

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