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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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ergeben, für feige halten und Feiglinge oft standrechtlich erschießen, aber er läßt es darauf ankommen. Langsam heben sich auch seine Arme. Bis ihm wieder einfällt, was sie mit dem Major der Fünften gemacht haben. Panische Gedanken wirbeln durch seinen Kopf. Er denkt an seine Uniformjacke und den Helm, die noch bei dem Baum liegen. In seinem fleckigen Khaki-Unterhemd und der langen Hose sieht er genauso aus wie der Soldat neben ihm. Nichts unterscheidet ihn vom Kanonenfutter, nur vielleicht sein Alter, aber sein Gesicht ist genauso unrasiert und schmutzig, seine Haare sind lang und verdreckt, nicht mal von nahem wird ein Asiate den Unterschied bemerken. Er hebt die Hände noch höher.
    Zwischen den Bäumen und Sträuchern erscheinen zwei Japaner, die Gewehre im Anschlag. Ihre Uniformen sind genau so zerrissen wie die der Briten, ihre Wangen sind genauso hohl, auch der haßerfüllte Blick in ihren Augen ist identisch. Bis sie bei dem Grammophon stehenbleiben und einer der Japaner hingebungsvoll die Nadel von der Platte hebt, die Platte herunternimmt und vorsichtig in die Hülle schiebt. Wie viele andere, fragt sich Victor, sind wohl schon auf diesen Trick des gelben Ungeziefers, das wahrscheinlich nur das Gezupfe einer verstimmten Laute mag, hereingefallen?
    Jetzt, wo das Ticken aufgehört hat, sind plötzlich wieder alle Geräusche des Urwaldes gegenwärtig. Der eine Japaner verstaut die Platte zusammen mit dem Grammophon und dem Trichter in einem Karton, während der andere das Gewehr auf sie gerichtet hält. Sie müssen sich nebeneinander auf den Boden setzen. Einer der Japaner verschwindet im Gebüsch. Victor betet, daß der Mann seine Uniformjacke nicht findet, er will anonym in diese Gefangenschaft gehen.
    »Major«, flüstert der Soldat.
    »Halt den Mund«, zischt Victor.
    »Aber Major …«, fängt der ängstliche Junge wieder an.
    »Willst du, daß ich gleich tot bin?« zischelt er dem Jungen wütend zu.
    Der Junge schweigt. Ihr Feind kommt mit drei Gewehren zurück. Er sagt etwas zu dem anderen Japaner, und der kleine Zug setzt sich in Bewegung. Sie gehen wieder in den Urwald, der Leichnam des Unterleutnants aus Gloucester bleibt unbedeckt zurück.
     
     
    Es könnten fünf Kilometer sein, aber auch zehn oder zwei. Mit erhobenen Armen wandern sie schweigend voran. Fliehen ist sinnlos, der Dschungel ist gefährlicher als der Feind, mit dem sich vielleicht reden läßt.
    Kurz vor Sonnenuntergang gelangen sie in eine Ansiedlung. Ein paar ärmliche Hütten, vor einer steht ein Stuhl. Victor hat den ganzen Weg über alle möglichen Szenarien durchgespielt und ist jedesmal zu derselben Schlußfolgerung gelangt: Er muß abwarten, was passiert. Sie werden in einen umzäunten Bereich geführt und lassen sich auf den Boden sinken. Die Japaner rufen etwas in Richtung der Hütten, es kommt keine Antwort. Der Feind ist genauso erschöpft wie sie, vor allem der Mann, der an der Spitze ging und die ganze Zeit das Grammophon und die Gewehre auf dem Rücken getragen hat. Sie rufen noch einmal. Sie sehen sich besorgt an. Victor spürt, daß sich das Blatt eher wenden kann, als er erwartet hatte. Einer der Männer geht in eine Hütte und kommt sofort wieder heraus. Er ruft seinem Kumpel etwas zu, der plötzlich das Gewehr fester packt und auf die Gefangenen richtet. Victor erträgt alles schweigend, er ist froh, daß er sitzt und die Arme sinken lassen kann. Er sieht, wie nun der andere Mann in die Hütte geht, und spürt, wie die ersten Moskitos des Abends seine unbedeckten Arme und den Nacken angreifen.
    »Major …«, flüstert der Soldat wieder.
    »Nenn mich verdammt noch mal nicht so«, knurrt Victor.
    »Was soll ich denn sonst zu Ihnen sagen, Major?«
    »Alles, außer das.«
    »Und was?«
    »Meinetwegen nenn mich Jack.«
    Der Japaner richtet sein Gewehr auf sie, ruft etwas, dem sie entnehmen, daß er ihnen verbietet, miteinander zu reden, also halten sie den Mund und sehen starr vor sich hin.
    Victor erschlägt eine Mücke, genau in dem Moment, als sie ihren Saugrüssel in seinen Arm sticht. Er muß plötzlich an seine Tochter denken. Seine Kinder sind eigentlich nicht mehr als ferne Adressen, an die er zu Weihnachten einen Brief schickt. Er hat sie nicht aufwachsen sehen. Würde er sie noch wiedererkennen? Wird er sie jemals wiedersehen? Er fühlt sich schon lange nicht mehr als Vater. Seine Welt ist das Militär. Seit Jahren ist er Kommandant, aber jetzt, wo er so tut, als sei er wieder ein einfacher Soldat, hat

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