Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
Vom Netzwerk:
oder an die Tür klopfen? Warum ist kein Fenster in der Tür, damit sie ihn sehen kann?
    »Ist da jemand?« ertönt noch einmal die Frauenstimme.
    Er hört Gepolter und dann etwas, was sich wie weggehende Schritte anhört. Herr Chandran hat ihm ans Herz gelegt, daß er sich sputen soll, daß es eilig ist, also zieht er noch einmal fest am Griff der Türglocke.
    »Wer ist da?« wiederholt die leise Stimme.
    Madan seufzt leise und verdreht die Augen. Warum macht sie nicht auf? Warum hat der Weber nicht Subhash geschickt? Warum kapiert sie nicht, daß da jemand ist, er hat nun schon fünf Mal geläutet! Er klopft an die Tür, sanft, wie eine Art Code. Er versucht mit seinem Klopfen mitzuteilen, daß er wartet, daß er nicht gefährlich ist, daß er nur etwas abholen möchte, was Herr Chandran vergessen hat.
    Die Tür wird einen kleinen Spalt geöffnet, nicht genug, um hineinzuschauen, aber so, daß derjenige, der hinter der Tür steht, hinausschauen kann. Dann geht die Tür weit auf.
    »Bist du Mukka?« fragt ein Mädchen in einem schwarz-weiß karierten Sari.
    Madan blinzelt. Er hat noch nie ein so schönes Mädchen gesehen. Ihre Augen funkeln wie Taukristalle auf weißen Hibiskusblüten, ihre Lippen sind rot wie Mohn, ihre Haut ist weich wie ein gerade aufblühendes Löwenmäulchen, ihre Haare sind schwarz wie Ebenholz, und ihre Nase wippt wie ein Schmetterling, der sich aus dem Kokon zwängt.
    Das Mädchen lächelt. »Was willst du hier?«
    Madan hat überhaupt nicht daran gedacht, daß er erklären muß, warum er gekommen ist. Sein Blick wandert hektisch durch den Flur hinter dem Mädchen. Er sieht nur einen großen Stapel alter Latschen, aber nichts, was wie ein Stück Rosenholz aussehen könnte.
    »Sollst du etwas holen?«
    Er nickt.
    »Etwas für Papi?«
    Die Vorstellung, daß jemand Meister Chandran »Papi« nennt, klingt so seltsam in seinen Ohren, daß er lächeln muß.
    Das Mädchen lächelt auch.
    »Ist es für die Fabrik?«
    Madan nickt.
    »Komm ruhig rein, sieh einfach nach, ob du es findest.«
    Madan folgt dem Mädchen in den Flur. Er kann den Blick nicht von ihr abwenden. Ihre nackten Füße trippeln leicht über die Fliesen, ihre Haare hüpfen auf dem Rücken des schwarz-weiß karierten Saris, ihre Finger bewegen sich beim Laufen. Der Flur ist lang und führt um eine Ecke. Das Mädchen beginnt leise zu summen, ein Lied, das er nicht kennt. Sie öffnet eine Tür.
    »Das ist Papis Zimmer. Siehst du das, was du holen sollst?«
    Das Zimmer sieht ganz anders aus, als Madan es einrichten würde, wenn er für Meister Chandran ein Zimmer entwerfen müßte. Der Raum ist völlig weiß und fast leer. An einer Wand sind einfache Regalbretter, in denen lauter gleich aussehende schwarze Schachteln stehen, in einer akkuraten Handschrift mit weißer Tusche beschriftet. Außerdem gibt es ein kleines Bücherbord, in dem ein einziges Buch steht. Unterm Fenster, vor dem eine glatte, weiße Gardine hängt, liegen auf einem schmalen Brett Muster und kleine Stücke Stoff, ordentlich gestapelt, und in der Mitte des Zimmers, auf dem weißen Tisch, liegt ein knorriges Stück Holz.
    »Sollst du das holen?« Das Mädchen hebt das Stück Rosenholz hoch.
    Madan nickt wieder und weiß genau, daß ihr Vater den schwarz-weiß karierten Stoff für den Sari selbst gewebt hat.
    »Was für ein merkwürdiges Stück Holz das ist! Was will Papi damit machen?« Die Hand des Mädchens streicht über die Rinde.
    Madan verfolgt mit seinen Blicken die Bewegungen der Hand, die über das Holz fährt, den Krümmungen folgt, er sieht, wie die kleinen Finger jede Vertiefung, jede Rundung und Wölbung im Holz finden. Sie sagt kein Wort. Sie steht anmutig in ihrem karierten Sari da und streichelt das Rosenholz. Madan spürt, wie sich sein Magen eigenartig zusammenzieht und sein Herz immer schneller pocht. Völlig unerwartet reicht sie Madan das Holz. Er erschrickt und wagt es nicht, den liebkosten Strunk zu nehmen, er fürchtet, daß die Berührung dieselbe Wirkung hat wie das Tragen eines damit bearbeiteten Kleidungsstücks. Das Mädchen drückt ihm das Stück Holz lächelnd in die Hände.

1968
Rampur
     
     
     
    Lieber Donald,
    in diesem Jahr haben wir Glück, der Monsun hat eine Woche eher angefangen. Wir hatten alle das Gefühl, fast wegzuschmelzen, so heiß war es. Vater ist wieder zu Hause. Die Ärzte halten es für ein Wunder, daß es ihm so gutgeht. Nur seine Beine kann er nicht mehr gebrauchen. Wenn er fleißig übt, wird er in ein paar Wochen

Weitere Kostenlose Bücher