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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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Unterleib, das er nicht mehr gespürt hatte, seit er in den Zug einstieg, kommt zurück, als könnten seine Fingerspitzen durch den Stoff die Haut des Mädchens fühlen, die Linie ihres Nackens, das Grübchen am Halsansatz. Für das Mädchen, wie für die anderen Kinder von Chandan Chandran, ist längst ein Ehepartner bestimmt worden, das weiß er. Trotzdem kann er sie nicht vergessen. Das Mädchen hat etwas in ihm geweckt, das nicht mehr einschlafen will. Er merkt, daß die Schwellung unter dem Stoff zunimmt. Sein Atem wird schneller. Er wagt den Stoff nicht mehr anzufassen. Er will ihn nicht einmal mehr anschauen, er fürchtet, daß die Erregung, die ihn ergriffen hat, deutlich zu sehen ist. Warum hört es nicht auf? Warum gehorcht sein Pimmel seinen flehentlichen Bitten nicht? Madan wagt sich nicht zu bewegen, er hofft, daß sich der ungebetene Gast still wieder zurückzieht. Aber der Körperteil hat seine eigenen Regeln und bleibt wie ein Pfahl aufrecht stehen, er schiebt den karierten Stoff stolz in die Höhe. Madan weiß, daß es nur vorbeigehen wird, wenn er ihn in die Hände nimmt und von seiner Spannung befreit. Das Risiko, daß Dr. Krishna Kumar plötzlich hereinkommt und ihn dabei antrifft, nimmt ihm jedoch allen Mut.
    Hilf mir. Du weißt immer eine Lösung. Laß dir was einfallen. Etwas, was ich machen kann. Ich kann sie mir nicht aus dem Kopf schlagen. Ich wollte den Stoff nicht so machen. Es kam ganz von allein. Ich habe gar nicht an sie gedacht. Ich habe auf die Nadel gesehen, die sich immer wieder in den Stoff gebohrt hat. Es war so, als hätte ich selber etwas durchbohrt, als wär da etwas gewesen, in das ich eindrang. Ich konnte nicht aufhören. Ich mußte hindurch. Immer mit der Nadel durch den Stoff. Ich wollte eine Linie machen. Eine scharfe Linie, immer mehr, immer fester wollte ich es. Ich habe nicht an sie gedacht. Wirklich nicht. Erst als das Muster fertig war, habe ich es gesehen. Es ist passiert, ohne daß ich es wollte. Als hätte sie mich verhext. Das kann doch nicht sein, Abbas? Sie kann doch nicht etwas mit mir gemacht haben, was nie mehr vorbeigeht? Sag mir, daß es nicht wahr ist. Sag, daß es vorbeigeht, daß es nicht für immer so bleiben wird. Ich will wieder normal sein. Ich will nicht, daß sich jedesmal, wenn ich an sie denke, alles in mir verändert. Wenn der Doktor plötzlich reinkommt, darf er mich nicht so sehen. Keiner darf mich so sehen. Daß Subhash mich erwischt hat, ist schon schlimm genug. Die Leute halten mich sowieso schon für seltsam. Ich weiß, daß sie über mich reden und auf mich zeigen. Daß ich nur, wenn ich ganz still bin, dabeisein darf. Ich will nicht immer dieses Gefühl im Bauch haben. Es macht mir angst. Ich will normal sein, wie alle anderen will ich sein. Ich möchte sprechen können.
    Der Stoff auf seinem Schoß hat sich gesenkt. Madan hört, daß sich die Tür öffnet. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn die Tür zugeblieben wäre. Er ist noch nicht fertig mit seinem Gespräch mit Abbas, das Gebet hat gerade erst angefangen.
    »Er hat nicht zuviel versprochen«, sagt Dr. Krishna Kumar erfreut und nimmt den Stoff von Madans Schoß. Er geht damit zur Lampe und schiebt seine Brille weiter auf die Nase. Aufmerksam mustert er Madans Werk. »Für dich brauche ich keine Woche.« Er geht mit dem Stoff aus dem Zimmer und läßt die Tür offen.
    Madan zieht die Tür zu und legt sich auf die Schilfmatte in der Ecke. Er schließt die Augen und versucht weiterzubeten, aber er weiß nicht mehr, was er sagen soll, außer, daß er sich wünscht, der kahlköpfige Mann mit der Brille wäre ein richtiger Doktor.

1968
Madras
     
     
     
    Jeden Morgen um sechs kommt Dr. Krishna Kumar in die Werkstatt und fragt Madan, ob er gut geschlafen hat. So geht es schon fünf Jahre. Und jeden Morgen nickt Madan, auch wenn er stundenlang wach gelegen und mit seinen Träumen und Enttäuschungen gerungen hat. Er wohnt in einem winzigen Zimmer zum Innenhof und arbeitet mit vierzehn anderen Schneidern in der großen Werkstatt von Dr. Krishna Kumar. Er hat seinen eigenen Zuschneidetisch, der in einer Ecke des Raumes steht, und an der Wand hängen Schnittmuster, vom einfachen Salwar Kameez bis zum aufwendigen, taillierten Mantel mit Taschen und Stehkragen. Anfangs breitete der Doktor, bevor die anderen Angestellten kamen, einen Stoff aus und zeichnete mit Kreide vor, wo Madan schneiden mußte, aber inzwischen macht er es selbst. So brachte der Doktor ihm auch bei, wie man Samt schneiden

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