Warten auf den Monsun
der Verlangende, will neben ihr gehen, ihre Hand nehmen und sie fragen, ob sie ihn, Mukka, den stummen Schneider, heiraten will. Sie betritt ein Haus. Sie schließt die Tür nicht. Er hört keinen Gruß, kein Gespräch, keinen Laut. Die Zeit verrinnt. Auf der Straße wird es still. Die Nacht senkt sich herab.
Er nähert sich dem Haus, ein Hund bellt. Er klopft an und hört ihre helle Stimme. Er drückt die Tür auf. Sie erschrickt, als sie ihn sieht, sie hatte ihn nicht erwartet. Sie sehen einander an. Sie senken den Blick. Er will weg, die Tür zuziehen, verschwinden, alles vergessen. Er will nicht hineingehen, aber wenn er es nicht tut, kann er nicht zu Dr. Krishna Kumar zurückkehren, das weiß er. Er muß seine Aufgabe zu Ende führen. Sich Gewißheit verschaffen. Er muß sehen, daß sie es nicht war. Vor ihr liegt die vermißte Schere. Sie zieht das Ende des Saris über den Nähkorb, aber der Stoff ist zu kurz. Auf der Matte, auf der sie arbeitet, liegt ein weißes Hemd, halb fertig, daneben ein Stapel fertig genähter Hemden, alle weiß. An der Wand steht der Ballen Baumwolle. Sie atmet schnell. Er auch. Sie bewegen sich nicht. Sie blicken beide auf die funkelnde Schere. Er erinnert sich an die glänzenden Äpfel und die süßen Mangos, die blitzschnell in seiner Tasche verschwanden. Er bückt sich. Seine Hand langt nach dem in seinen Augen plötzlich unsinnigen Werkzeug. Zwei Metallstücke, die aneinander vorbeigleiten, um etwas zu zerschneiden, zu zerteilen, für immer voneinander zu lösen. Er hebt die Schere nicht auf, seine Hand schwebt darüber, ziellos und unsicher. Er riecht ihren Atem. Er weiß, daß sie Angst hat. Hat sie einen Vater? Einen Bruder? Einen Cousin? Wo ist ihre Familie? Sie zieht das Gummiband aus den Zöpfen. Die langen Haare fallen lose über ihre Schultern. Er nimmt die Schere und legt sie auf den Tisch. Er setzt sich neben sie auf den Boden. Tausend Fragen hat er, genau so viele Ängste. Auf ihrer Stirn bilden sich glitzernde Tröpfchen. Sie hält den Atem an. Sie öffnet den Mund. Sie will etwas sagen, aber dann schließt sie den Mund wieder.
Sag nichts. Sag bitte nichts. Ich weiß es schon. Mir brauchst du nichts zu erklären. Ich verrate dich nicht. Bleib bei mir. Bleib für immer bei mir. Ich werde dich mitnehmen. Wir gehen fort von hier. Hab keine Angst. Ich liebe dich. Von dem ersten Moment an, als ich dir in die Augen sah. Glaube mir. Vertraue mir. Ich werde für dich sorgen. Dich beschützen. Ich will für den Rest meines Lebens neben dir aufwachen. Komm, schlaf in meinen Armen.
Langsam legt sie ihre Hand auf seine. Ihre Hand ist kühler. Ein Schauer überläuft ihn. Er merkt, daß er erregt wird. Er will nicht, daß sie es sieht, und zieht die Knie weiter an. Sie streichelt seinen Arm. Ganz langsam. Sie berührt mit den Fingerspitzen die Härchen auf seiner Haut, eines nach dem andern. Das Pochen in seinem Unterleib wird zu einem Hämmern. Das Blut rast ihm durch die Adern.
Hast du keine Angst vor mir? Bin ich dir nicht unheimlich? Wo ist dein Vater? Wo ist dein Bruder?
Sie beugt sich vor. Er spürt ihren Atem an seiner Wange. Er will sie in die Arme nehmen, sie küssen, aber sein ganzer Körper ist so steif wie der Körperteil, den er haßt. Plötzlich lacht sie und schubst ihn nach hinten auf den Stapel Hemden. Sie schüttelt wild die Haare. Er sieht ihre Zähne. Im schwachen Licht der Glühbirne, die neben ihr hängt, wirkt sie wie eine Löwin, die ihn anspringen will. Sie stürzt sich auf ihn. Sein Hemd zerreißt, ihre Fingernägel zerkratzen seine Brust, ihre Zunge fährt über sein Ohr, ihr Lachen klingt weiter, als er ihren Mund sucht, er berührt ihre Brüste, die genau so sind, wie er sie sich vorgestellt hatte, ihre Hände suchen seine Hände und führen sie zu ihren Hüften, sie umklammert ihn, beißt und leckt ihn, sie riecht nach etwas, das er nicht kennt, ein Geruch, der ihn an keine einzige Blume erinnert, der Schmerz, den er empfindet, ist kein Schmerz, ihr Keuchen klingt wie ein Lied, sie verfangen sich in ihren Haaren, ihr Lachen klingt weiter, sie ist nackt, und er weiß nicht, wie er nackt geworden ist, ihre Haut gleitet über seine Haut, läßt ihn zittern, prickeln, betäubt ihn, es gibt auf der Welt nichts anderes mehr als die Frau, die er seit Monaten vergöttert, über die er phantasiert hat, die Wirklichkeit ist viel wollüstiger und überwältigender als seine Träume, und als er begreift, daß sie nicht unter seinem Gewicht zerbricht,
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