Warten auf den Monsun
übernimmt er die Führung, entdeckt und besetzt jede Höhlung ihres Körpers, aus ihrem Lachen wird ein genußsüchtiges Stöhnen, er merkt, daß er weint, aber weiß nicht, warum er weint, noch nie war er so glücklich, sie leckt und küßt seine Tränen weg, sie steigt auf ihn und kitzelt ihn mit ihren langen Haaren, er will lachen, schreien vor Genuß, aber bekommt plötzlich Angst, Angst, einen Laut von sich zu geben, sie sieht ihn fragend an und sagt zum ersten Mal in all den Monaten etwas zu ihm, »nicht sprechen«, sagt sie, und er muß deshalb noch mehr weinen, sie drückt ihren Mund auf seinen, ihre Zunge sucht in seiner wortlosen Mundhöhle, er findet sie, sie legen die Arme umeinander, draußen bellt wieder der Hund, sie schreckt hoch, zieht eines der Hemden zu sich hin, er versteht nicht, warum sie plötzlich aufhört, ihren Sari umlegt und die Haare zusammenbindet, sie steht auf und bedeutet ihm, auch aufzustehen.
Er sieht die Schere auf dem Tisch liegen, das Nähkörbchen, das neben ihr auf dem Boden stand, ist umgefallen. Er sieht die Druckknöpfe, das Kopierrädchen, den Nahttrenner, den Fingerhut und die Goldborte. Sie hebt seine Kleider vom Boden auf und macht das Licht aus. Er weiß, daß er sich rasch anziehen muß, daß das, was geschehen ist, vorbei ist. Er hört Schritte, die Tür geht auf, eine Männerstimme fragt, warum das Licht aus ist, sie antwortet nicht, sondern schiebt ihn an die Wand, er merkt, daß der Mann hereinkommt, daß sie ihn losläßt und auf den anderen zuspringt, »kuckuck« ruft, er hört ihr Lachen wieder, hell und fröhlich, er hört Gebrummel, er sucht die Tür, merkt, daß sie noch offensteht, er huscht hinaus, ihr lautes Lachen im Ohr, er hört, daß der Mann sagt, sie solle nicht so stürmisch sein.
Der Hund bellt.
Madan rennt zur Straße.
Am Ende der Straße merkt er, daß seine Spule, die er immer in der Hosentasche trug, weg ist. Er ist siebenundzwanzig, als er zum Bahnhof geht. Er wird Dr. Krishna Kumar nie mehr wiedersehen.
1973
Chilakaluripet
Er geht die Straße entlang, die, wie der Mann gesagt hat, in Richtung Haidarabad führt. Wenn du feste durchmarschierst, bist du in etwa drei Wochen da, hatte der Mann gelacht.
Madan hätte nie gedacht, daß er genauso arm fortgehen würde, wie er zehn Jahre zuvor angekommen war. Noch ärmer, denn nach ein paar Stunden hatte ihn der Kontrolleur ohne Pardon und mit großem Trara aus dem Zug geworfen. Beschämt läuft er über die frisch asphaltierte Straße, Autos überholen ihn in voller Fahrt. Er hofft, daß einer der Laster anhält und ihn mitnimmt. Wohin, ist ihm egal, Hauptsache weit weg. Ein Wagen fährt so dicht an ihm vorbei, daß ein Stein hochfliegt und an sein Bein schlägt. Er ist froh, daß der schneidende Schmerz den anderen Schmerz kurz ausblendet.
Er humpelt von der Straße weg und setzt sich auf einen umgestürzten Baumstamm. Er hat keinen Hunger, keinen Durst. Er spürt nur Kälte. Sein Bein blutet. Mit dem Finger und etwas Spucke versucht er die Wunde zu säubern.
Neben seinem Fuß sitzen zwei rote Käfer. Sie nagen an dem Stamm, auf dem er sitzt. Unter der Rinde kommt ein dritter Käfer hervor und krabbelt gemächlich in Richtung der anderen, um dann plötzlich auf einen der anderen Käfer zu klettern. Der untere Käfer scheint es gar nicht zu merken und nagt unbeirrbar weiter an dem Holz, während das Männchen auf dem Rücken des Weibchens aufs Ganze geht. Sie krabbelt mit dem Männchen auf dem Rücken weiter, auf der Suche nach einem frischen Happen Nahrung, und stürzt sich auf einen aufkeimenden Sproß. Madan beobachtet voller Bewunderung das Männchen, das sich durch das Weibchen nicht aus dem Konzept bringen läßt und einfach weitermacht. Nun kommt der andere Käfer angekrabbelt, der seine beiden Artgenossen bisher nicht gestört hat, und klettert über den Kopf des Weibchens zu dem Männchen, das auf ihrem Rücken hockt. Auch er bohrt sich in das Spiel. Madan sieht verwundert auf das desinteressierte Weibchen, das ruhig weiterfrißt, während auf seinem Rücken die Zukunft der Gattung sichergestellt wird. Er denkt, daß er gern ein Käfer wäre.
1995
Rampur
»Tante Charlotte!« hallte es durchs Haus. »Tante Charlotte! Das Klopapier ist alle!«
Charlotte hatte keine Ahnung, ob es irgendwo im Haus noch eine Rolle Toilettenpapier gab oder wenigstens etwas, das dazu dienen konnte. Seit vielen Jahren benutzte sie kein Papier, sondern nahm wie jedermann in
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