Warten auf den Monsun
Chloroform, das er benutzt, wirkt bei der hohen Raumtemperatur schneller, als er es gewohnt ist. Anders als bei seiner Arbeit in den Slums von Manchester, wo ihm immer ein richtiger OP -Saal zur Verfügung stand, hängt die Infusionsflasche hier an einer Schnur von der Decke, und der Operationstisch wurde noch am Vormittag mit zurechtgesägten Klötzen auf die richtige Höhe gebracht. Der Maharadscha hatte ihm nicht erlaubt, das Mädchen ins Krankenhaus in Delhi mitzunehmen, wo er seit vier Monaten arbeitet. Maharadscha Man Singh, ohnehin sehr mißtrauisch, war alle paar Minuten aufgetaucht, um zu sehen, was der Chirurg mit seiner Tochter machte. Peter hat ihm strengstens verboten, den Raum während der Operation zu betreten, und ihm einen langen Vortrag über Infektionsrisiken und Bakterien gehalten.
Er legt den Handrücken kurz auf die Stirn des Mädchens und betet, daß es gutgehen möge, daß er die hochgespannten Erwartungen erfüllen kann, daß keine Narbe an ihrem Hals zurückbleiben wird, damit sie, wenn sie einmal heiratet, den Familienschmuck mit Stolz tragen kann. Peter vermutet, daß der Maharadscha seine Tochter als Versuchskaninchen benutzt, erst wenn sie geheilt ist, will sich der mächtige Mann auch operieren lassen. Peter verflucht sich dafür, daß er nicht darauf bestanden hatte, die Operation in einem Krankenhaus auszuführen; mit skeptischem Blick sieht er auf die wacklige Konstruktion unter dem Bett. Dann nickt er Aziz zu, seinem Assistenten, und mit noch größerer Präzision und Konzentration als gewöhnlich betten sie den Kopf des Mädchens nach hinten. Bei der Spiegelung hatte er gut sehen können, wie stark der Kehlkopf angegriffen ist. Aziz bestreicht den Hals mit einem Desinfektionsmittel und legt ein Tuch über das Mädchen. An der Stelle, an der der junge Kehlkopfspezialist schneiden wird, hat das Tuch ein Loch.
Der Maharadscha, der es nicht gewohnt ist, Befehle zu empfangen, hat den Palast mit großen Schritten verlassen. Am liebsten wäre er in sein Arbeitsszimmer gegangen, um eines der Gewehre zu ölen, aber er schafft es nicht, sich auch nur eine Minute auf etwas anderes zu konzentrieren. Chutki ist nicht seine Lieblingstochter, doch einfach verlieren möchte er sie auch nicht, sie kann gut tanzen. Bei den Pferdeställen bleibt er stehen. Er hat den Präparator, den er eigens aus Bangalore hat kommen lassen, noch nicht besucht. Im Schlachtraum, den sein verstorbener Vater vor langer Zeit mit blauen Delfter Kacheln aus Holland hat fliesen lassen und in dem der Halsspezialist aus England nicht operieren wollte, arbeitet seit einigen Tagen der Mann, der den Elefantenkopf für den Vizekönig ausstopft. Maharadscha Man Singh hat sich vorgenommen, den Kopf nur zu verschenken, wenn er seine bevorstehende Operation überlebt. Die schwere Tür quietscht in den Angeln. Von der Decke hängen lange Haken herab, und an einer Wand sind Austropfgestelle befestigt. In der Mitte des hohen Raums liegt auf einem großen runden Tisch der Kopf des Elefanten.
Der Präparator, der auf dem Boden kniet, sieht nicht hoch, als der Maharadscha eintritt. Der indische Fürst wartet verdutzt, in seinem Palast springt jeder sofort vor ihm auf. Er zieht kurz in Erwägung, den Präparator zu entlassen, setzt sich aber statt dessen auf die lange Holzbank, die an der Wand steht. Er sieht das Skalpell immer tiefer in den Hals des Elefanten eindringen. Der Kopf war sehr hastig abgehackt worden, Fetzen hängen noch daran. Der Maharadscha legt die Hand an seine Kehle. Mit großer Präzision bewegt sich das scharfe Messer durch die dicke graue Haut.
Das Mädchen wimmert leise. Doktor Harris legt letzte Hand an den Verband um ihren Hals. Allmählich nimmt er die Geräusche von draußen wieder wahr. Er hat Durst. Sein tüchtiger Assistent steht schon mit einem Glas Wasser bereit, das er in einem Zug austrinkt. Es ist ihm gelungen. Chutki wird nie Opernsängerin werden, aber sie wird beim Reden keine Schmerzen mehr haben, und die Halsschmerzen werden, wenn sie achtundvierzig Stunden nicht hustet, flüstert oder sich räuspert und nicht zu viel Wasser trinkt, völlig verschwinden. Die Männer setzen sich und schauen zu, wie das kleine Mädchen langsam aufwacht. Eine Tochter, denkt Peter, hätte ich auch gern.
***
Er sehnt sich nach der Stille seines Zimmers. Das sich über Stunden hinziehende Dinner ist noch lange nicht vorbei, immer wieder werden neue Schüsseln mit unbekannten Speisen gebracht. Während
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