Warten auf den Monsun
sehen, ob sie im Bett lag. Auf dem Fußboden leuchtete zusammengeknülltes Papier im Schein des Mondlichts. Er rutschte auf den Knien zur Tür und schlich hinein.
Im Zimmer schwebte der süße Duft von Memsahib Charlotte. Er schnupperte. Hema mochte diesen Duft. Er kroch auf allen vieren weiter, er mußte aufpassen, nicht gegen die Papierbälle zu stoßen, denn wenn sie nun aufwachte, würde sie ihn zweifellos entlassen. Er kroch geräuschlos an ihren Slippern vorbei zum Bett und blickte durch das Moskitonetz. Das Bett war leer. Er schaute unters Bett, hinter den Sessel und ins Badezimmer, nirgends entdeckte er eine Frau, der schlecht geworden war. So schnell es seine alten Knie erlaubten, kroch er zurück auf den Balkon, daß er genausogut einfach aufstehen konnte, fiel ihm nicht ein. Erst an der Tür zum alten Kinderzimmer zog er seinen steifen Körper geräuschlos an der Türklinke hoch.
Hema verschwendete keinen Gedanken an seinen schmerzenden Rücken, seine verschlissenen Knie und seine rissigen Nägel. Er sorgte sich um seine Memsahib Charlotte. Sie kam immer öfter japsend vom Club zurück, mit dem Rad den Hügel hochzufahren war in ihrem Alter und in der sengenden Sonne eine unmenschliche Anstrengung. Er konnte nicht verstehen, warum sie nicht wie er eine Rikscha anhielt und sich für ein paar Rupien fahren ließ. Den Lunch hatte sie nicht angerührt. Es hatte an der Tür geläutet. Sie hatte gesagt, sie habe keinen Hunger, er solle essen und aufheben, war übrig blieb. Hema hatte aufgemacht. Vor der Tür stand ein Mann, den er schon einmal gesehen hatte, mit glatten Haaren, die ihm über die Augen fielen, und einem teuren Hemd. Er stellte sich als Arjun Soumitra vor, aber Hema argwöhnte, daß das nicht sein richtiger Name war. Memsahib hatte gesagt, er solle den Besucher in den Salon führen. Er hatte ihn jedoch in der Halle stehen gelassen und erst rasch den großen Teppich ausgerollt – der Perserteppich lag seit einiger Zeit als Rolle vor dem Sofa unter einer Plastikplane und wurde nur ausgerollt, wenn Besuch da war, was nur noch selten vorkam. Er hatte den Wohnzimmertisch mitten auf den Teppich gestellt und den Mann hereingelassen. Der war sofort auf Memsahibs Büfett losgesteuert und hatte eine der großen Schalen in die Hand genommen, an denen sie sehr hing. Hema hatte sich vernehmlich geräuspert, aber der Mann hatte sich nicht davon abhalten lassen, das Porzellan weiter zu inspizieren. Hema war sich unschlüssig gewesen, ob er ihn allein lassen konnte oder nicht. Gerade als er im Begriff war, Memsahib zu holen, kam sie ins Zimmer. Sie hatte den Mann freundlich begrüßt und Hema weggeschickt.
Hema schlich wieder geräuschlos durchs Kinderzimmer, schloß die Tür ab und hängte den Schlüssel an den Nagel. Er ging die Treppe hinab und blieb in der Mitte der Marmorhalle stehen. Er lauschte und hörte es im Haus knacken; obwohl er sich alle Mühe gab, sie zu bekämpfen, nagten sich immer mehr Insekten einen Weg durch das trockene Holz der Wände und tauchten da auf, wo man sie am wenigsten erwartete. Aus dem Klavierzimmer kam ein Geräusch. Die Tür war zu, wie Memsahib ihm befohlen hatte. Er klopfte an und öffnete sie.
Auf einem wackligen Konstrukt aus einem Stuhl und einem Hocker stand Charlotte. Sie sah erleichtert aus, als Hema ins Zimmer trat. »Nimm die Kerze und leuchte mir mal.«
Hema, an die Launen seiner Arbeitgeberin gewöhnt und heilfroh, daß sie nicht tot auf dem Boden lag, nahm den Kerzenleuchter vom Boden und hielt ihn hoch.
»Höher«, sagte Charlotte von ihrem kippligen Turm. Sie hielt eine Schere in der Hand und schnitt von dem roten Lampenschirm, der an der Decke hing, einen Stein ab. »Der letzte«, sagte sie seufzend.
1936
Grand Palace
Vor ihm auf dem weißen Tisch liegt das kleine Mädchen, langsam fallen ihr die Augen zu, und sie atmet schwerer. Peter Harris hat Chutki, die jüngste Tochter des Maharadschas, in der vergangenen Woche jeden Tag untersucht, und obwohl sie ständig über Kopfschmerzen, Schluck- und Atembeschwerden klagte, ist sie gesund und kräftig. Er hat, wie er es in der Praxis in Long Millgate machen würde, nach allen möglichen Ursachen geforscht, aber es liegt eindeutig an der chronischen Kehlkopfentzündung. Daß die Entzündung nach der ganzen Zeit nicht auf die Bronchien und die Lunge übergegriffen hat, kann man als Wunder bezeichnen. Er kratzt mit dem Griff der Pinzette über ihre Haut, aber das Mädchen reagiert nicht. Das
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