Warten auf den Monsun
die Diener hin und her eilen, zieht der Punkah-wallah mit stoischem Gleichmut an der Schnur, damit die Fächer über ihren Köpfen flattern. Peter Harris ist indische Gerichte nicht gewohnt – seine Zimmerwirtin in Delhi kocht englische Kost –, das scharfe Essen lähmt seine Geschmackspapillen und setzt seinen Mund in Brand.
Der Maharadscha, nun auch mit einem Verband um den Hals, klatscht in die Hände, das Gemurmel der Gäste verstummt. »Harris Sahib«, sagt er und macht eine kleine Verbeugung zu Peter. »Meine Stimme ist noch schwach, aber mein Glück ist groß.« Er schnalzt mit den Fingern.
Der Mann mit dem grünen Turban tritt vor. Er trägt eine Kiste aus Nußbaumholz und stellt sie vor Peter ab. Mit leiser Stimme hält der Maharadscha eine kleine Ansprache. Bedachtsam wählt er seine Worte. Er lobt Peter für sein großes Können und preist das britische Volk mit seinen fortschrittlichen Entwicklungen in der medizinischen Wissenschaft. Peter winkt bescheiden ab und lächelt verlegen. Der in Seide gekleidete Mann tut die Bescheidenheit des Chirurgen mit einer Handbewegung ab und betont, daß er für immer in seiner Schuld stehe, daß ihre Wege sich noch oft kreuzen mögen, daß seine jüngste Tochter ein Geschenk ausgewählt habe, von dem er hoffe, daß der Doktor es annehme, daß die Gabe in keinem Verhältnis zu dem stehe, was er ihnen geschenkt habe, aber daß er hoffe, es werde als Zeichen der Wertschätzung akzeptiert.
Chutki, die neben ihrer Mutter sitzt und zum ersten Mal im Leben an einem Dinner teilnehmen darf, zeigt auf die Kiste: »Aufmachen.«
Peter Harris, nervös, weil er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, öffnet die Kiste. Auf einem schwarzen Samtkissen liegt ein prächtiger Lampenschirm aus Kristall, verziert mit einer dünnen Goldkette, an der im Abstand von einem Zentimeter funkelnde Rubine hängen.
1995
Rampur
Hema lebte mit seinen Gedanken dicht am Boden, wie die meisten Einwohner von Rampur. Selten schaute er auf die Oberseite eines Schrankes, Dachböden mochte er nicht, und zu einer Zimmerdecke blickte er nie hoch. Daß von der Lampe im verlassenen Klavierzimmer ein Stein nach dem anderen verschwand, war ihm deshalb entgangen. Charlotte, die es immer heimlich gemacht hatte, weil sie fürchtete, daß jemand Wind bekommen würde von ihrem Schatz, machte sich, nachdem nun auch der letzte Edelstein abgeschnitten war, keine Sorgen mehr. Sie mußte zwar das große Haus instand halten und die Rechnungen für den Lebensunterhalt bezahlen, aber wie all die anderen Frauen vom New Rampur Club wollte auch sie ein schönes Kleid für das bevorstehende Fest.
Hema half ihr, von dem wackligen Möbelturm herunterzusteigen. Er hob die Fotoalben vom Boden auf, steckte sie wieder in die Plastikhüllen und fragte, ob sie ihr Abendessen wolle. Die Suchaktion im Haus hatte seinen Hunger nicht verschwinden lassen. Charlotte schüttelte den Kopf und sagte, sie wolle schlafen, was nicht ganz stimmte, denn sie war noch immer aufgeregt über den gelungenen Verkauf des Wedgwood-Service und den kostbaren Rubin in ihrer Hand.
Der Gebrauchtwarenhändler hatte sich mit desinteressiertem Blick sehr herablassend über ihr Service geäußert. Das Blumenmuster sei altmodisch und werde nicht mehr gewünscht, die weiße Farbe sei nicht mehr so sahnig, wie sie eigentlich sein müsse, und die Transparenz des Porzellans habe mit den Jahren offenbar nachgelassen. Charlotte wußte nicht, was in sie gefahren war, aber sie hatte den obersten Teller vom Stapel genommen und den Händler durchdringend angesehen. Sie hatte den Teller lose auf ihre Hand gestellt, als mache es ihr nichts aus, wenn er herunterfiel und zerbrach. »Mein Lieber«, hatte sie gesagt, »wie ich sehe, haben Sie keine Ahnung von edlem Porzellan.« Er hatte höhnisch gelacht. Den Teller noch immer auf der Hand balancierend, hatte sie einen Vortrag über die Qualitäten der kostbaren Keramik gehalten. Sie hatte ihm erklärt, wie es möglich war, daß das Material hart war und gleichzeitig durchscheinend, daß dem Kaolin von original Wedgwood-Porzellan Knochenasche zugesetzt wurde, was das Endprodukt noch stabiler und transparenter machte, daß es geruch- und geschmacklos war und daß es sich, selbst wenn es ein Jahrhundert lang auf dem Meeresboden läge, kaum verfärben würde und daß er, falls er ihr kein angemessenes Angebot mache, das Haus verlassen könne, denn so hoffnungslos, wie er vielleicht annehme, sei ihre Lage nun auch
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