Warten auf den Monsun
Es waren nicht viel Worte gemacht worden, und alles war vorbei, bevor es ihr richtig bewußt war. Auch an die Bahnfahrt mit dem stillen Hauptmann, den sie ihren Ehemann nennen durfte, hat sie keine nachhaltige Erinnerung. Endstation der Reise war ein kleiner Bahnhof, wo eine Luxuslimousine auf sie wartete. Der Chauffeur hatte sie schweigend zu einem Palast gefahren, der größer war als ihre ehemalige Schule, das berühmte Queen Victoria College.
Sie wird in den Zenana geführt. In Nachtgewändern und bunten Saris lagern und ruhen Frauen auf Betten. Bei jeder ihrer Bewegungen klirren Arm- und Fußreifen. Es gibt Einzel- und Doppelbetten, französische Betten, Kinderbetten und sogar zwei Himmelbetten, aber auch Sofas, auf denen gelesen wird. Wohin sie schaut, sieht sie Frauen, junge Mädchen und kleine Kinder. Sie kann kein System und keine Ordnung in dem Ganzen entdecken. Peter ist beim Maharadscha zurückgeblieben, die beiden hatten sich wie alte Freunde begrüßt. Charlotte, die an den Eßsaal mit den langen Holztischen und die schüchtern flüsternden Mädchen in grauer Uniform gewöhnt ist, blickt verwundert auf das Chaos in dem Frauengemach. Die Frauen auf den Betten und Sofas mit den kostbaren Decken plaudern miteinander, andere schminken oder frisieren sich gegenseitig. In einer Ecke lesen drei Mädchen gemeinsam in einem Buch, und auf einem Bett mitten in dem großen Raum schläft eine alte, grauhaarige Frau tief und fest, während eine Dienerin ihr mit einem Fächer aus Pfauenfedern Luft zuwedelt.
Ein Mädchen, das etwas jünger als Charlotte ist, streckt ihr die Hand entgegen. »Ich heiße Chutki«, sagt sie.
»Ich heiße Charlotte.« Sie gibt dem Mädchen die Hand.
Andere Frauen stellen sich zu ihnen. Die Neuigkeit, daß Peter Harris in Bombay eine junge Engländerin geheiratet hat, hat wie eine Bombe eingeschlagen, außer beim Maharadscha, der hatte nur genickt und gemurmelt, sein Astrologe sei der beste.
»Sind Sie wirklich mit Doktor Harris verheiratet?« fragt eine hochschwangere Frau in tadellosem Englisch. Sie ist die Frau des Maharadschas.
»Ja«, sagt Charlotte leise. Sie kann es selbst noch gar nicht richtig glauben.
Ein Summen geht durchs Zimmer. Die Frauen umringen sie noch dichter. Eine nimmt ihre Hand und zeigt auf ihren Finger – kein Ring.
»Wir hatten noch keine Zeit dazu«, sagt Charlotte.
Mißbilligendes Zischen ist zu hören. Ein Mann, der keinen Schmuck für seine Frau kaufen kann, ist kein Mann.
»Doktor Harris ist ein guter Mann«, sagt eine Frau mit einem großen Ring in der Nase.
»Er ist ein gutaussehender Mann«, sagt ein Mädchen mit vollen roten Lippen.
»Ohne Uniform ist er bestimmt noch hübscher«, kichert ihre ältere Schwester, deren Arme mit vielen gläsernen Armreifen geschmückt sind.
»Er denkt zuviel«, meint eine Frau mit schwarz umrandeten Augen.
»Wir dachten, er würde nie heiraten«, betont eine ältere Frau in einem roten Sari.
»War es ein großes Fest?« fragt jemand leise.
»Wir wußten gar nichts davon«, sagt eine bekümmert.
»Wir wären alle gekommen«, sagt die Frau mit dem Nasenring, und die Frauen um sie herum stimmen ihr zu. Die Empörung in ihren Stimmen ist nicht zu überhören – Harris Sahib hat geheiratet, ohne sie einzuladen!
Ein Schrei ertönt. Die Frauen drehen sich um und sehen, daß die hochschwangere Maharani, die Augen weit aufgerissen und die Hände um den Bauch gelegt, mitten in einer Lache steht, die immer größer wird. Die Frauen eilen zu ihr hin. In einer Sprache, die Charlotte noch nie zuvor gehört hat, reden sie alle durcheinander. Die vor Schmerzen stöhnende Frau des Maharadschas wird weggeführt. Dienerinnen werden gerufen, die das Fruchtwasser mit penibler Sorgfalt vom Boden aufwischen und dann ätherisches Öl auf die Stelle träufeln und Blütenblätter darauf verteilen. Zwei Frauen beginnen bei einem kleinen Wandaltar neben der Tür zu singen, und die Frau mit dem Nasenring legt sich auf ein Bett und zieht sich den Sari übers Gesicht. Nur Chutki bleibt neben Charlotte stehen. Sie nimmt sie an die Hand und zieht sie mit sich.
Sie gehen durch Flure und Säle. Charlotte hat noch nie ein so imposantes Gebäude gesehen. Ein Raum ist noch luxuriöser eingerichtet als der andere. Überall, wo sie vorbeikommen, huschen mucksmäuschenstille Diener weg. Charlotte würde sich gern länger umschauen, aber das Mädchen geht weiter. Sie steigen eine Treppe hinauf und laufen wieder durch einen Flur. Auch oben
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