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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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gewöhnen kann. Ich finde es sehr schade, daß wir uns vor meiner Abreise nicht mehr sehen konnten. Ich hatte es so sehr gehofft, aber der Mann, den ich ans Telefon bekam, sagte mir, es sei nicht möglich, weil die Straße zu Eurer Schule wegen der Überschwemmungen nicht befahrbar ist. Gibt es auch in der Schule deswegen Probleme? Darfst Du jetzt, wo Du zwölf wirst, so wie ich damals in einen kleineren Schlafsaal? Oder gibt es das bei Euch nicht? Ich sitze gerade in einem Eisenbahnabteil erster Klasse. Wahnsinnig luxuriös und mit ganz vielen Dienstboten, die ständig vorbeikommen und fragen, ob man etwas möchte. Ich hatte völlig vergessen, wie es war, wenn man die ganze Zeit Dienstboten hat. Bei uns in der Schule mußten wir unsere Betten selbst machen. Müßt Ihr das auch? Soll ich Vater fragen, ob Du diesen Sommer nach Indien kommen darfst? Vielleicht können wir es ja bezahlen. Ich werde mit Peter darüber reden. Kannst Du ein Foto von Dir machen lassen? Ich habe nur das Foto, auf dem Du noch ganz klein bist, und ich möchte Peter gern zeigen, wie mein Bruder aussieht, auch wenn ich das selbst nicht so genau weiß, weil wir uns schon so viele Jahre nicht mehr gesehen haben. Vater hat sich überhaupt nicht verändert, er ist nur etwas älter geworden und hat mehr Streifen an seiner Uniform, aber er trägt noch immer dieselben Stiefel. Peter und ich werden in Neu-Delhi wohnen, denn er arbeitet dort in einem Krankenhaus. Ich war noch nie in Delhi, aber es scheint eine sehr schöne Stadt zu sein. In einem ruckelnden Zug zu schreiben, ist gar nicht so einfach, deshalb mache ich jetzt Schluß.
    Auf Wiedersehen,
    Deine Schwester Charlotte

1995
Rampur
     
     
     
    Ein LKW fuhr über die Zufahrt. Auf der Ladefläche stand ein großer Tisch, der dem Tisch, den Charlotte vor vier Monaten verkauft hatte, zum Verwechseln ähnlich sah. Sie kannte den Mann nicht, der am Steuer saß, und wartete im Salon, daß Hema kam und ihr sagte, wer er war. Der Wagen hielt vor dem Küchenhaus, der Fahrer sprang raus und ging hinein. Nach etwa zehn Minuten kam er zusammen mit Hema heraus, hob den Tisch vom Wagen und stellte ihn vor das Haus. Dann fuhr der Mann weg, und Hema ging zurück in die Küche. Charlotte, nicht gewohnt, daß etwas ohne ihre Anweisung passierte, klingelte.
    »Wer war das?« fragte sie, als Hema hereinkam.
    »Herr Sukumar, er bringt einen Tisch.«
    »Ich habe aber gar keinen Tisch bestellt.«
    »Nein, Memsahib?«
    »Nein, warum sollte ich einen Tisch kaufen, wenn wir ihn gar nicht benutzen?«
    »Er hat gesagt ›Tisch für Memsahib‹. Ich dachte, daß es in Ordnung ist.«
    »Es ist überhaupt nicht in Ordnung.«
    Das Telefon klingelte, und Hema nahm ab. »Frau Nair«, sagte er mit der Hand auf der Sprechmuschel.
    Charlotte seufzte und nahm den Hörer.
    »Ist er schon da?«
    »Wer?«
    »Der Tisch.«
    »Ach, ist der Tisch von dir?«
    »Nein, nicht von mir. Ich habe ihn von der Frau des Polizeikommandanten ausgeliehen. Sie war so großzügig, ihn dir vorübergehend zu leihen.«
    »Ich brauche aber überhaupt keinen Tisch.«
    »Nein, aber der neue Darsi braucht einen.«
    Charlotte wollte protestieren, wollte sagen, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, sie habe mehr als genug Tische, aber dann fiel ihr ein, daß sie fast alle Tische verkauft hatte.
    »Du hast doch nichts dagegen, oder?«
    Charlotte fragte sich, woher die Frau von Nikhil Nair wußte, daß sie keine großen Tische mehr im Haus hatte. Was wußte sie wohl noch alles? Jetzt dämmerte ihr auch, warum Nikhil Nair sich für die Uhr interessiert und warum seine Frau vorgeschlagen hatte, den Darsi bei ihr unterzubringen.
    »Nein, nein, ist schon gut«, sagte Charlotte. »Nur – ich habe mich noch gar nicht entschieden, ob der Schneider hier arbeiten kann.«
    Die Frau von Nikhil Nair seufzte. »Laß uns jetzt nicht im Stich, das kannst du nicht machen, wo soll er denn sonst hin? Wir verlassen uns auf dich, auch die Frauen vom Mittwochmorgen und die Damen, die freitags Tennis spielen. Ich habe sogar gehört, daß die Frauen, die selten in den Club kommen, auch neue Abendkleider wollen, das Festkomitee hat mich extra deswegen angerufen, es kann ja wohl nicht sein, daß das Fest abgesagt werden muß, weil wir einen einfachen Darsi nicht unterbringen können.«
    »Es wird schon alles klappen«, sagte Charlotte, die die Frau von Nikhil Nair für eine lästige Zeitgenossin hielt, die ständig alles übertreiben mußte, »also dann …

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