Warten auf den Monsun
viel rosiger aussehen, davon ist er überzeugt. Er hebt die Hand und sagt: »Hallo!«
Der Schädel direkt neben dem Kopf von Bruder Augustinus hat große, hohle Augen und da, wo die Nase sein müßte, ein Loch. Der Mönch gleicht ihm ein wenig. Madan zögert, hebt dann aber doch die Hand. Der Mann winkt ihn heran. Mit langsamen Schritten geht Madan auf ihn zu. Als er vor ihm steht, nimmt der Mann das hölzerne Kreuz, das auch an seinem Gürtel hängt, und hält es Madan an die Stirn. Madan spürt, wie ihm das Herz bis zum Hals pocht. Der Mönch schließt die Augen und beginnt etwas zu murmeln.
Bruder Franciscus sieht mit mißgünstigem Blick zu. Wie kann er auch so dumm gewesen sein, es schon wieder zu vergessen, der Abt hatte es ihm noch doch deutlich gesagt, empfange jeden Neuling mit einem Vaterunser.
Nach dem Amen schlägt Bruder Augustinus ein Kreuz, nimmt Madans Hand und läßt ihn auch das Kreuzzeichen machen. Ohne weitere Ankündigung reißt Bruder Augustinus seinen großen Mund auf. Die Zähne, braun von jahrelangem Zigarrenrauchen, liegen verfallen um eine nasse Zunge. Der Mund klappt zu und der Mönch zeigt auf Madans fest geschlossenen Mund. Erst als Madan das verrottete Gebiß zum dritten Mal gesehen hat, öffnet er vorsichtig den Mund. Milchzähne und bleibende Zähne werden sichtbar. Der Mönch hält nun einen Löffel in der Hand. Er dreht ihn um, steckt Madan den kalten Metallstiel in den Mund und drückt ihm die Zunge nach unten. Madan muß würgen, und ihm entfährt ein angstvolles, animalisches Quieken. Der Mönch zieht den Löffel schnell heraus, noch vor kurzem konnte ein Neuankömmling die gerade heruntergeschlungene Mahlzeit nicht bei sich behalten, als er ihm in den Hals sah. Er setzt die Untersuchung fort und betrachtet mit kundigem Blick die Narbe unterm Kinn, die Augen, die Ohren, er inspiziert Madans Haare, horcht Herz und Lunge ab und klopft mit einem kleinen Hammer gegen seine Knie.
»Ein gesunder Bursche, aber was sie mit ihm angestellt haben, kann ich nicht genau sehen. Man könnte meinen, sie hätten ihn stumm gemacht, so wie sie auch Augen ausstechen oder Arme und Beine brechen, weil das lukrativer ist fürs Betteln.« Unterdessen ist er zu Bruder Franciscus getreten und flüstert ihm ins Ohr: »Mit seinen Ohren ist meiner Ansicht nach alles in Ordnung.« Dann sagt er laut, der Junge müsse in die Badewanne und saubere Kleidung bekommen.
An der feuchten Hand von Bruder Franciscus setzt Madan seinen Weg durch die langen Korridore fort. Vor einer großen Statue von einem Mann, der an zwei gekreuzten Brettern aufgehängt ist, bleiben sie stehen. Bruder Franciscus kniet nieder und gibt ihm ein Zeichen, es ihm nachzumachen. Er faltet die Hände, richtet den Blick auf den Gekreuzigten und murmelt wie Bruder Augustinus vor sich hin. Madan rieselt es kalt über den Rücken, als er sieht, daß ein Nagel durch die Füße des Mannes geschlagen ist, und auch die Hände sind am Holz festgenagelt. Mit flehendem Blick sieht der Mann ihn an, er hat den Mund geöffnet, man sieht deutlich, daß er großen Durst hat. Die Kiste bei Ram Khan war klein und unbequem, aber die Vorstellung, daß er hier vielleicht genau wie dieser Mann angenagelt werden soll, versetzt ihn in Todesangst.
»Amen«, klingt es neben ihm. Bruder Franciscus sieht ihn an und lächelt: »Du wirst sicher Mukka genannt?«
Madan versteht nicht, wieso der Mann plötzlich weiß, daß er hören kann. Hat der andere Mann, der in seinen Kopf geschaut hat, das entdeckt? Wissen sie jetzt auch, was er denkt?
»Wir haben einen viel besseren Namen für dich, wir werden dich Josef nennen, dann heißt du so wie der Vater von diesem Mann am Kreuz.« Er zeigt mit breitem Lächeln auf den angenagelten Mann. »Komm, Josef, es ist Zeit, daß du dich wäschst.«
Der Mönch zieht ihn in einen grau gefliesten Waschraum. Aus der Decke ragen rostige Rohre mit Brausen, und an der Wand sind Wasserhähne.
»Josef, zieh dich aus«, sagt Bruder Franciscus freundlich.
Madan bleibt reglos stehen. Bruder Franciscus, der sich nicht mehr sicher ist, ob Bruder Augustinus tatsächlich recht hatte, was das Gehör des Jungen betrifft, macht ihm mit Gebärden verständlich, daß er seine Kleider ausziehen soll, daß Wasser von der Decke herabkommen wird und daß er sich waschen soll. Er reicht ihm ein nasses Stück Seife. In der Nähe beginnt eine Kirchenglocke zu läuten. Bruder Franciscus bekreuzigt sich und dreht ihm den Rücken zu. Aus einer der Duschen
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