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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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fallen Tropfen. Madan zieht Hose und Hemd aus und dreht an einem der großen Knöpfe. Zuerst hört er ein Gluckern und Rumoren, dann spritzt das Wasser heraus. So viel Wasser ist noch nie über seinen Körper geflossen. Es ist herrlich lauwarm, als ob er durch den Regen läuft. Madan vergißt den Mönch, den Mann mit den Nägeln, Ram Khan, sogar seine Schwester vergißt er. Er macht die Augen zu und breitet die Arme aus. Er öffnet den Mund und läßt das Wasser hineinströmen.
    Madan merkt nicht, wie Bruder Franciscus ihn im Spiegel beobachtet, auf seine Haare schaut, die ihm im Nacken kleben, auf das Wasser, das aus seinem Mund läuft, die unbehaarten Achselhöhlen und den zerbrechlichen Brustkorb, den kleinen Penis, der zwischen seinen Beinen hängt. Bruder Franciscus kann den Blick nicht von dem kleinen Körperteil lösen. Er spürt, wie sein Glied steif wird. Er muß den Raum verlassen, den Hahn zudrehen oder die Augen schließen, aber er will es nicht. Seine Haut prickelt, seine Zunge ist trocken.
    Madan spürt das Wasser über sich hinwegströmen. Es nimmt alle seine Gedanken mit sich in das Loch im Fußboden. Es kribbelt in seinen Haaren, es kühlt seinen Rücken, und es löscht seinen Durst. Es wäscht allen Staub und alle Sorgen von ihm ab.
    »Halt!« ruft Bruder Franciscus plötzlich und dreht brüsk den Hahn zu.
    Madan öffnet die Augen und sieht den Mönch strahlend an, der langsam mit einem Handtuch auf ihn zukommt, niederkniet und ihn abtrocknet.

1995
Rampur
     
     
     
    Er öffnete bereitwillig den Mund, Charlotte flößte ihm einen Löffel Joghurt ein. Was herauslief, schabte sie versiert mit dem Löffel von seinem Kinn und steckte ihm den Löffel wieder in den Mund. Aus dem kleinen Kassettenrekorder tönte klassische Musik. Im Licht der einzigen Neonröhre sah ihr Vater alt aus. Von der vornehmen Würde, die er sein ganzes Leben ausgestrahlt hatte, war nichts mehr übrig, und das Gesabber auf dem Löffel rief in ihr Vorstellungen der Dinge wach, auf die sie in ihrem Leben hatte verzichten müssen. Hema hatte sich wie gewohnt zurückgezogen, nachdem er die Lederriemen wieder festgemacht hatte. Daß ihr Vater aus dem Zimmer entwischt war, lag daran, daß er am Vormittag nach dem Waschen in einen Tiefschlaf gefallen war und Hema es deshalb nicht geschafft hatte, den schlaffen Körper im Rollstuhl richtig anzugurten. Wie der schlaue Fuchs es fertiggebracht hatte, die Bremse zu lösen, war ihr nach wie vor ein Rätsel, aber wenn man bedachte, daß er aus dem Dschungel von Birma entkommen war, dürfte das Aufnesteln des Gurtes für ihn eher einfach gewesen sein. Charlotte begriff nicht, warum Hema vergessen hatte, die Tür abzuschließen, ebensowenig wie sie seine weitschweifigen Erklärungen begriff, daß er zu beschäftigt gewesen sei, weil der Strom genau in dem Moment ausgefallen war, als das Teewasser zu kochen begann. Am Vormittag hatten sie tatsächlich eine Stunde lang keinen Strom gehabt, aber trotzdem kam ihr das Ganze wie eine faule Ausrede vor. Vater hätte zum Treppenloch fahren können. Einen Sturz aus dieser Höhe hätte er nie überlebt. Daß sie selbst einmal die Tür offengelassen hatte in der Hoffnung, daß genau das geschehen würde, hatte sie rigoros aus ihrer Erinnerung getilgt. Sie summte die Schubert-Melodien mit und stopfte dem alten Mann den nächsten Löffel Joghurt in den Mund. Ihr Blick fiel auf den großen Wäscheschrank.
    Der General war ihrem Blick gefolgt, spuckte den Joghurt aus und brüllte: »Was hast du vor?«
    »Nichts, Vater, ich will nur mal in den Schrank schauen.«
    »Das ist mein Schrank!« schrie er. »Darin hast du überhaupt nichts zu suchen!«
    »Weißt du vielleicht, ob die Seidenstoffe von Mutter noch darin liegen?«
    »Das sind meine! Die gehören dir nicht!« rief er. Seine Augen verdrehten sich, seine Schultern zuckten.
    »Bleib ruhig, Vater, ist schon gut.«
    »Ich erschieße dich, wenn ich es merke. Und ich sehe alles. Alles!« kreischte er.
    Sie zog seinen Latz weg, wischte ihm das Kinn ab, stellte den Kassettenrekorder so hin, daß er nicht an ihn herankam, kontrollierte noch kurz, ob die Gurte und die Bremse festsaßen, und verließ mit dem übriggebliebenen Joghurt das Zimmer. Sie sperrte die Tür ab und hängte den Schlüssel seufzend an den Nagel.
     
    In der Ferne heulte ein Hund, die Grillen zirpten dagegen an, und der Mond war eine hauchdünne Sichel. Madan nahm den Eimer vom Spülstein und ging geräuschlos durch die offene Küchentür

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