Warten auf den Monsun
hinaus. Die Hitze des Tages war den Düften der Nacht gewichen, und trotzdem merkte er, daß neue Düfte dazugekommen waren, seit er die Pflanzen wässerte. Die Zweige des vertrockneten Jasmins hatten wieder etwas von ihrer alten Kraft, und die verdorrten Blätter der Mimose hingen nicht mehr so schlaff herab. Die Rosensträucher, die wie abgestorben ausgesehen hatten, zeigten rosafarbene Punkte, die neues Leben ankündigten, der Apfelbaum hatte seine Farbe geändert, und die Blätter des Kapernstrauchs raschelten nicht mehr.
Als er das Wasser auf die Beete neben dem Haus goß, spürte er, daß ihn jemand beobachtete. Sein Blick schoß sofort zu Charlottes Schlafzimmerfenster, wo aber niemand war, und wanderte dann von Fenster zu Fenster, doch er sah nur Vorhänge, Fensterläden und die Spiegelung der Mondsichel in einer Scheibe. Er drehte sich um und blickte direkt in Hemas Augen, der still und reglos in der offenen Küchentür stand. Madan fragte sich, ob er ihn geweckt hatte oder ob das Faktotum wieder einen aufregenden Traum erlebt hatte, was im Nebenzimmer manchmal deutlich zu hören war. Er leerte den Eimer, und die Erde saugte den letzten Rest Wasser begierig auf. Ohne Kontakt zu seinem Zuschauer zu suchen, ging Madan zum Schuppen zurück, füllte den Eimer und trug ihn wieder zum Blumenbeet. Hema war verschwunden, die Tür war jetzt zu. Im Gesicht des Schneiders erschien ein Lächeln, und er wässerte in aller Ruhe weiter die vertrockneten Pflanzen. Als der fünfzehnte Eimer leer war, ging er zum Küchenhaus, stellte den Eimer leise vor die Tür und zog sich in den Schuppen zurück. Drinnen war es stockdunkel, er ertastete das alte Bett des Mali, stellte den Rasenmäher beiseite, legte das Bündel Verlängerungskabel auf den Boden, legte sich hin und schlief.
Als Hema mit dem Tablett für den Morgentee aus dem großen Haus zurückkam, saß Madan an seiner Nähmaschine. Hema nahm den Eimer, der noch vor der Tür stand, und stellte ihn scheppernd auf den Spülstein. Madan blickte nicht auf. Hema hatte in der Nacht schlagartig erkannt, daß der Darsi versuchte, ihn hinauszudrängen. Eine Woche nach dem Tod des Mali hatte Charlotte ihn gebeten, einige Aufgaben des verstorbenen Mannes zu übernehmen, und ihm dabei versichert, daß sie kein Blütenmeer wie früher erwarte, er solle sich nur ein bißchen um die Beete kümmern. Für den Rasen, hatte sie gesagt, ließe sie jemanden kommen. Was blieb ihm anderes übrig, als höflich zu nicken; insgeheim aber dachte er, die Memsahib könne nun wirklich nicht von ihm verlangen, daß er – seit sie die Dienste des Dhobi nicht mehr in Anspruch nahm, die Kulis entlassen und auch den Mehtar nach Hause geschickt hatte und es nicht mal mehr einen Koch gab – neben Waschen, Schleppen, Fegen, Kochen und ihren Vater Versorgen auch noch die Gartenarbeit übernahm. Es war sein stiller Protest gewesen, und der wurde nun von diesem schrecklichen Darsi unterlaufen. Er goß neues Wasser in den Topf. Oder war es nicht vielleicht doch zu seinem Vorteil, fragte er sich plötzlich. Hema mochte es nicht, nachzudenken. Etwas war so, oder es war nicht so. Unklare Situationen, Streitgespräche und andere komplizierte Dinge mied er lieber. Nun hielt er es auf einmal für möglich, daß ihm seine voreingenommene Haltung gegenüber dem Darsi schaden könnte. Also rief er schnell ins andere Zimmer: »Kaffee oder Tee?« Daß der Schneider nicht sprechen konnte, hatte er in seiner Verwirrung vergessen.
Madan schaute um die Ecke, zeigte freundlich auf den Topf für den Tee und neigte den Kopf, was Hema als »danke schön« deutete, und machte mit seiner Arbeit weiter.
Aber Zucker kommt nicht rein, beschloß Hema.
1966
Rampur
Ein unbekanntes Geräusch weckt sie auf. Charlotte blickt aus dem Fenster und sieht, wie fünf wettergebräunte Männer mit nacktem Oberkörper unten an der Zufahrt graben. Sie treiben die Spaten in den Boden und werfen den Kies und die Erde hinter sich. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, und sie hört auch noch nicht die schweren Schritte ihres Vaters.
Nach sechseinhalb Jahren des Wartens, in denen sie unendlich viele Formulare ausgefüllt und Briefe an die Stadtverwaltung, die Behörden des Bundesstaates und sogar an den Minister geschrieben hatten, auf die sie nie eine Antwort erhielten, wird nun endlich eine Abwasserleitung angelegt. Ihr Vater nennt das sogar »Teil des modernen Indien werden«.
Seine Tochter hat ihm nicht erzählt, daß sie den
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