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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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Überhaupt nicht.« Charlotte glättete mit der Schuhspitze eine Ecke des Teppichs.
    »Was meinst du, können wir auch mal kurz beim Darsi reinschauen?«
    Hema, der sich noch herumdrückte und auf Bestellungen für Tee oder Kaffee wartete, wurde weggeschickt, um den Schneider zu holen. Denn wenn die Damen ihn in dem Zimmer neben der Küche bei der Arbeit sähen, würde das Lamento über die Gerüche wieder losgehen, das wußte Charlotte. Der Ventilator drehte sich auf vollen Touren, und ein unangenehmes Schweigen trat ein. Charlotte fühlte sich überfallen. Die Frau von Ajay Karapiet dachte an ihr Bett, die Frau von Nikhil Nair konnte ihre Neugierde nicht bezwingen und schaute sich im Zimmer um, das gar nicht so ärmlich aussah, wie sie erwartet hatte. Am meisten verwunderte es sie, daß der kostbare Perserteppich noch immer vorhanden war. Sie konnte nicht wissen, daß der Orientteppich gepfändet und Eigentum der Bank war, genauso wie der Stuhl, auf dem sie saß, der Beistelltisch, auf den sie ihre Handtasche gelegt hatte, das Büfett, das ihr allerdings etwas leer vorkam, und alle anderen Möbelstücke im Zimmer. Die Tür ging auf, und der Darsi erschien, den Kopf bescheiden etwas gesenkt. Er trug zwei Kleider über dem Arm, das rosafarbene und das aus Goldbrokat. Die Frau von Nikhil Nair sprang auf, gab einen Schrei von sich und stürzte auf das neue Kleidungsstück zu. Sie jubelte, riß dem Schneider das Kleid aus der Hand und tanzte damit durchs Zimmer. Die Frau von Ajay Karapiet strahlte auch, als sie ihr goldenes Kleid bekam.
    Wie schön sie geworden sind, dachte Charlotte.
    Deins wird noch viel schöner.
    Wenn ich Stoff finde.
    Den findest du.
    Charlotte sah Madan an, der wiederum die Frauen anschaute. Sie fühlte sich unbehaglich, es war so, als antworte er auf ihre Gedanken.
    »Ich muß es auf der Stelle anprobieren!« gurrte die Frau von Nikhil Nair.
    Oh Gott, nein! fuhr es Charlotte durch den Kopf, dann sieht sie, daß alle Zimmer leer sind.
    Sie können sie zu Hause anprobieren und wieder zurückbringen, sie sind fast fertig.
    Können sie sie mitnehmen?
    Madan nickte.
    Charlotte sah ihn erstaunt an.
    Die Frau von Nikhil Nair holte sie aus ihrer Verwirrung zurück: »Wo kann ich es mal eben anprobieren?«
    »Ihr könnt die Kleider mitnehmen und sie zu Hause anprobieren.« Sie wunderte sich darüber, daß sie das einfach so gesagt hatte, und warf Madan einen unsicheren Blick zu. Doch der war unübersehbar damit einverstanden.
    »Wir können das besser hier machen.«
    Madan schüttelte den Kopf und machte ein Zeichen, daß es wirklich kein Problem sei.
    »Ich will meins aber gleich anprobieren, falls die Taille nicht richtig sitzt, oder falls die Abnäher zu hoch sind … Ich habe immer Probleme mit einem neuen Kleid«, beharrte die Frau von Nikhil Nair.
    Als hätten sie es verabredet, gingen Madan und Charlotte gleichzeitig zur Tür.
    »Bleibt einfach hier im Zimmer«, sagte Charlotte. »Hier ist es am kühlsten.«
    Zusammen standen sie schweigend in der großen, kahlen Halle. Sie wagten sich nicht anzusehen.
    Die Kleider sind in Ordnung.
    Wieso bist du dir so sicher?
    Die Kleider passen ihnen perfekt.
    Du bist dir deiner Sache wirklich sehr sicher.
    Ja.
    Schneider sind nie so selbstsicher. Sie hatte es gedacht, bevor es ihr richtig bewußt wurde; einen Gedanken zu unterdrücken, merkte sie, war viel schwieriger, als den Mund zu halten.
    Madan sah sie nur an.
    Charlotte wollte »sorry« sagen, aber die Tür flog auf, und die Frau von Nikhil Nair stürmte in die Halle. Das rosafarbene Abendkleid versteckte alle Wülste ihres korpulenten Körpers. Dieser Schneider sei ein »Genie«, rief sie, noch nie zuvor habe sie ein Kleid besessen, das »so exakt« passe. Im Salon mühte sich die Frau von Ajay Karapiet noch schwitzend und japsend mit ihrem Kleid ab, aber ihre Freundin nahm davon keine Notiz.

1954
Bombay
     
     
     
    Das linke Bein zieht er nach, und den Regenschirmstock ohne Schirm benutzt er als Krückstock. Madan versucht, so routiniert zu hinken wie sein Freund Abbas. Wer ihn sieht, glaubt, daß er wirklich ein kleiner Krüppel mit einer verwachsenen Hüfte und einem lahmen Fuß ist. Durch das ständige Nachziehen ist sein Fuß an der Seite schwielig und voller Schmutz. Die weißen Kleider der St.-Thomas-Kongregation, die die Jungen nach einem halben Jahr immer noch tragen, sind schmuddelig und haben Löcher. Madan hat ein Tuch gefunden, das einmal rot war, und es sich um die Taille gebunden. Darin

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