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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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ist tot …«, sagt Abbas mit heiserer Stimme. »Einfach so … eines Tages … tot.« Er keucht und wimmert leise. »Keiner weiß, warum.« Er öffnet die Augen. Aus den Mundwinkeln tropft frischer Speichel. »Ohne einen Grund …«, sagt er klagend und schnappt nach Luft. »Sie konnte gut … gut kochen.« Seine Augen glänzen. »Jeden Morgen … wusch sie   … ihre Haare … rieb sie ein …« Sein Blick wandert umher, er schnuppert, als würde er sie suchen. »… mit Kokosöl …« Keuchend fällt er auf sein Lager aus Zeitungen zurück. Sein Atem geht immer schneller und unregelmäßiger. Madan streckt die Hand aus, aber bevor er seinen Freund beruhigen kann, fährt Abbas fort: »Sie kämmte sich … sorgsam … ganz sorgsam …!« Abbas’ Haare sind zerzaust und feucht. Madan nimmt sich vor, morgen einen Kamm zu suchen. »Sie hatte … sie hatte einen Zopf … auf dem Rücken …« Seine Stimme wird immer leiser, und es kostet ihn große Mühe, weiterzureden. Er schließt die Augen. »In der Sonne … der Sonne … sah ihr Kopf aus wie … eine glänzende Kugel …« Er beginnt sich am Ohr zu kratzen. Madan zieht sanft seine Hand weg. Er will nicht, daß die Wunde weiter aufgeht. »Es sticht«, jammert sein Freund. »Meine Backe sticht … kalt … mein Gesicht … alles sticht, Mukka …« Er reckt den Hals, und sein Arm macht eine unerwartete Bewegung. Als wolle er schlagen, doch an seinem Gesicht sieht Madan, daß Abbas ebenso überrascht ist wie er. »Ich habe … Durst …« Madan gibt ihm eine der Flaschen. Der Junge richtet sich etwas auf und versucht zu trinken. Das meiste Wasser rinnt ihm am Hals entlang, nur ganz wenig landet im Mund. Er muß würgen und stößt die Flasche so heftig weg, daß sie auf den Boden fällt und zerbricht. Madan nimmt eine andere Flasche und setzt sie seinem Freund an die Lippen. Vorsichtig flößt er ihm das Wasser ein. Abbas beginnt gleich wieder zu würgen, zu keuchen und zu zucken. Sein Kopf wird hin und her geschüttelt. Madan kann die Flasche gerade noch wegziehen, bevor auch sie auf dem Boden zerschellt. Abbas keucht, daß er kein Wasser will, daß er erstickt, sein Oberkörper fällt wieder auf die alten Zeitungen, und eine Sekunde später klagt er, daß er Durst hat, aber als Madan die Flasche wieder nimmt, um sie ihm an den Mund zu setzen, gerät sein Freund in Panik. Sein ganzer Körper bebt und zuckt. Er reckt den Hals und rollt mit den Augen. Madan legt ihm die Hand auf den Arm und streichelt ihn. Der Junge wird ruhiger. Er schließt die Augen und wimmert leise. Seine Lippen sind trocken, und der eingetrocknete Speichel um seinen Mund hat gelbliche Krusten gebildet. Die Wunde am Ohr ist entzündet. Seine Haare sind schweißnaß. Madan blickt wieder zu dem langen, blauen Streifen hoch. Er weiß nicht, was er tun soll.
    »Mukka?« Abbas öffnet die Augen ein wenig. Er leckt sich über die Lippen und will etwas sagen. »Erzählst du mir … erzählst du mir … die Geschichte?«
    Madan begreift nicht, was er meint. Abbas weiß doch, daß er nicht sprechen kann! Er hat ihm noch nie eine Geschichte erzählt. Die einzige Geschichte, die er kennt, ist die von dem Tag, als seine Schwester in ihrer blauen Jacke zwischen den jubelnden Männern verschwand. An alles, was davor war, erinnert er sich nicht, sein Leben begann in einer johlenden Menge und einem Wald aus Beinen. Er kennt nur die Sorge, wie er seinen Hunger stillen und einen sicheren Schlafplatz finden kann. Und er kennt seinen Freund Abbas, der sich vor nichts fürchtet außer vor der Polizei. Andere Geschichten kennt er nicht.
    »Erzähl mir«, flüstert Abbas.
    Ich kenne keine Geschichte. Heisere Laute verlassen seinen Mund.
    »Ja … erzähl …«, keucht Abbas.
    Ich hab dir doch gesagt, ich weiß nichts , blafft Madan in schrillem Ton.
    In Abbas’ Augen tritt ein glückseliger Blick, als er hört, wie sein kleiner Freund sagt: ES WAR EINMAL EIN JUNGE …
    Abbas, das sieht Madan, möchte gern, daß er weitermacht, nur weiß er nicht, womit. Er merkt, daß ihm der Magen knurrt, und er hat Durst. Er greift zu der Flasche, um zu trinken, aber in Abbas’ Augen flackert Panik auf. Er zuckt und zittert wieder. Madan stellt schnell die Flasche weg. Er wünscht sich, daß Bruder Augustinus, der Mönch mit der Brille mit den ganz dicken Gläsern, hier wäre, um seinen umgedrehten Löffel in Abbas’ Mund zu stecken und ihm eine Tablette zu geben, damit er wieder gesund würde. Dann könnten sie wieder zusammen

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