Warten auf den Monsun
eines Erwachsenen, die Madan noch nie bei ihm gesehen hat, drischt Abbas auf den winselnden Hund ein.
Sein Vater springt vom Tisch auf, an dem er den ganzen Tag schweigend gesessen hat, nicht ein einziges Mal ist er aufgestanden oder hat sich gerührt. Seine Mutter, die früh am Morgen aufs Feld gegangen ist, kommt mit einem kleinen Milchkrug und etwas Gemüse herein. Vater greift zum Schürhaken, der beim Feuer steht, und schlägt zu. Der Hund winselt. Seine Mutter sackt zusammen, der Milchkrug fällt zu Boden, die Milch fließt heraus. Wieder landet der Schürhaken auf ihrem Kopf. Der Hund jault. Seine Mutter reißt die Augen weit auf und blickt auf den eisernen Schürhaken, der mit Wucht auf sie niedergeht. In dem Hund knirscht etwas. Ein Knochen bricht. Ihr Gesicht liegt in der Milch, die sich rosa färbt. Der Schürhaken in der Hand seines Vaters fällt wieder erbarmungslos auf den Kopf seiner Mutter herab. Es gibt keine anderen Geräusche. Der eiserne Stab auf dem mageren Körper. Der Hund fiept. Sein Vater scheint kurz zu zögern. Ihrem Mund entfährt ein Seufzer. Der Schürhaken saust noch einmal mit rasendem Tempo hinab. Der Hund winselt . Seine Mutter liegt tot auf dem Boden. Sein Vater weint. Der Hund heult, ein leiser, flehender Laut. Der Speichel tropft ihm aus dem Maul, wie das Blut aus dem Mund seiner Mutter. Seine Mutter … Abbas dreht seinem Vater den Rücken zu und läuft zur Tür. Er zieht die Tür hinter sich zu. Abbas dreht sich um, der Hund bleibt blutend liegen. Er sieht sich nicht mehr um.
Madan weiß nicht, was er tun soll. Ein Stück weiter stehen Leute auf der Straße und schauen ihnen zu. Durch das Fenster des Restaurants sieht er den Mann essen, er hat gar nicht mitbekommen, was passiert ist.
Abbas geht weg, mit blutendem Ohr. Er vergißt zu hinken.
Madan schaut auf den bewegungslosen Hund in der Blutlache. Er fürchtet sich nicht vor Blut. Er fürchtet sich vor den blicklosen Augen. Er fürchtet sich vor seinem Freund, der blutend mit seinem Schirmstock weggeht. Er fürchtet sich vor dem Mann, der hinter der Glasscheibe sitzt und ißt, vor dem Eimer, der mitten auf der Straße liegt, vor den Menschen, die ihn angaffen. Ein Polizeiauto kommt in die Straße gefahren. Er rennt hinter seinem Freund her und zieht ihn in eine Gasse.
Laß mich nicht allein!
***
Im Hafen hat Madan zwischen zwei verfallenen Lagerhallen einen dunklen Spalt entdeckt. Wenn man die Luft anhält, kann man sich seitwärts hineinzwängen und landet in einem schmalen Raum zwischen den beiden hohen Gebäuden, der sich zum Ende hin wieder so verengt, daß man nicht weiter kann. Vom Meer her weht beständig ein sanfter Wind hindurch, der aus fernen Gegenden kommt, wo es keine Hunde gibt, die Menschen angreifen, und keine Kinder, die ihre Eltern verloren haben oder von ihnen weggelaufen sind. Madan macht den Platz mit großem Eifer sauber. Auf dem Boden liegen Überreste von vor langer Zeit eingegangenen Ratten. Er schiebt die Knochen und die kleinen Schädel tiefer in den Spalt. Aus alten Zeitungen und Pappkarton versucht er, ein Bett für seinen kranken Freund zu machen. Hunger hat der Patient nicht, also versucht Madan, auch nicht an Essen zu denken. Er will bei ihm sein, vor allem, seit Abbas gesagt hat, daß ihm alles weh tut und es überall juckt.
Vor einem Laden am Ende des Kais steht ein Kasten mit leeren Flaschen. Kurz bevor es hell wird nimmt Madan den Kasten einfach mit. In einer der Lagerhallen füllt er die Flaschen unbemerkt mit Wasser und trägt sie zu ihrem neuen Versteck. Der Kasten paßt nicht durch die Öffnung, aber die gefüllten Flaschen stellt er alle neben seinen Freund.
Die Jungen liegen nebeneinander. Abbas hat die Augen geschlossen, er keucht und stöhnt. Madan blickt auf den dünnen Streifen blauen Himmels, der in gerader Linie das Dunkel durchschneidet, wie ein leuchtender Pfad zu einem neuen Ort, einem neuen Land. Er wünschte sich, daß Abbas nicht krank wäre. Seit er den Hund totgeschlagen hat, ist er ständig gereizt und schnauzt Madan an. Alles, was Madan tat, war falsch, bis sie in diesen Spalt gekrochen sind, dann wurde er ruhiger und fluchte auch nicht mehr. Aber sein Atem geht nicht ruhig, sondern stoßartig, und ab und zu quält ihn Luftnot. Dann streichelt Madan ihn über den Arm und denkt an morgen oder übermorgen, wenn sie wieder zusammen durch die Stadt laufen können und Äpfel stehlen oder Geld von einer Frau bekommen, die Einkäufe erledigt.
»Meine Mutter
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