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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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ein Hund die Augen wegfrißt und nicht aufhören will, auch nicht, wenn er ihn mit einem Stock schlägt, oder eine Ratte springt plötzlich aus dem Mund des Freundes, der in Madans Traum nur schläft. Er weiß immer noch nicht, warum er hier eingesperrt ist, aber alle scheinen davon überzeugt zu sein, daß er etwas ganz Schlimmes getan hat – nur Herr Patel nicht.
    »Sohn, hier«, flüstert Herr Patel, er ist der einzige, der ihn nicht Mukka oder Ratte nennt. Er schiebt ihm seine Schale zu, in der noch mindestens vier Bissen Reis sind. »Du mußt noch wachsen. Ich nicht.«
    Madan sieht ihn dankbar an und ißt den Reis sofort auf, denn auch Herr Patel kann es sich anders überlegen.
    »Wenn wir hier raus sind, Sohn, mußt du mal zum Essen zu mir kommen. Man soll sich ja nicht selber loben, aber ich bin wirklich ein guter Koch.«
    Madan würde nichts lieber wollen. Wenig, schlecht und unregelmäßig zu essen, das ist er gewohnt, aber so knapp wie hier war das Essen nicht mal bei Ram Khan. Ein paar der Gefangenen glauben, Herr Patel sei sein Großvater, und sogar Ibrahim, der allen ungemein ruppig und gewalttätig begegnet, hat ihn bisher in Ruhe gelassen.
    »Die Zeit kommt, Sohn, die Zeit kommt gewiß, dann mache ich Dhal für dich, mit soviel Reis, wie du möchtest.« Herr Patel dreht sich um und schließt die Augen.
    Madan horcht auf das unverständliche Gebet. Manchmal betet Herr Patel eine ganze Stunde. Danach hat er immer einen friedvollen Blick in den Augen, der bei keinem der anderen Männer jemals zu sehen ist, auch nicht, wenn sie gebetet haben.
    »Betest du manchmal?« fragt Herr Patel, während er versucht, den Schmutz unter seinen Fingernägeln wegzupulen.
    Madan schüttelt den Kopf.
    »Hast du das nie gelernt? Oder bist du nicht gläubig?«
    Madan erinnert sich ganz vage und wenn er sich sehr anstrengt daran, daß er einmal in einem Tempel war, wo Glocken erklangen und Weihrauch brannte, er denkt an die heiligen Bilder, vor denen Ram Khan jeden Tag seine Puja verrichtete, und an Bruder Franciscus, der neben ihm kniete und seine Hände nahm, um mit ihm zu dem Mann am Kreuz aufzublicken. Er zuckt mit den Schultern.
    »Möchtest du es lernen?«
    Die Friedfertigkeit, die von Herrn Patel nach dem Beten ausgeht, würde Madan auch gern besitzen, aber er hat Angst, daß der Gott von Herrn Patel in seinen Kopf eindringt, wenn er betet, und ihm Vorwürfe macht, er habe Abbas vergessen, auch wenn das nicht stimmt, aber das könnte er diesem Gott dann natürlich nicht erklären.
    Herr Patel sieht den Zweifel in Madans Augen. »Du brauchst es nicht so wie ich mit richtigen Worten zu tun, man kann auch in Gedanken beten. Hast du das gewußt?«
    Madan schüttelt wieder den Kopf. In Gedanken beten, das tut er den ganzen Tag. Er nennt es nicht beten, sondern reden.
    »Es ist etwas anderes, als einfach im Kopf zu sprechen«, sagt Herr Patel. »Beim Beten mußt du dich zuerst ganz leer machen, dich gut konzentrieren, erst dann kannst du mit dem Gebet anfangen.«
    Madan wird schwindlig, leer machen, konzentrieren , er versteht nicht, was Herr Patel meint. Aber er nickt ernst, damit Herr Patel weiterredet.
    »Wir alle sind Teil des Kosmischen Bewußtseins, das brauchst du jetzt nicht alles zu verstehen, aber es ist gut, wenn du es weißt. Der Zweck des Betens ist es, Ehrfurcht zu bezeigen, um etwas zu bitten oder den eigenen Gedanken und Gefühlen eine Richtung zu geben. Ich bete zu Brahma, Vishnu und Shiva. Aber wenn du diese Götter noch nicht kennst, dann kannst du, solange du hier bist, auch mit dem Gott in dir selber reden. Verstehst du das ein bißchen?«
    Der Gott in ihm selber? Er kann sich nicht vorstellen, was Herr Patel meint.
    »Dein Gott ist ein Teil von dir selbst.«
    Abbas ! Nun versteht Madan plötzlich, was Herr Patel meint. Das also ist es, was Herr Patel macht, er redet mit jemandem, den er sehr gern hat. Abbas ist immer in ihm, jede Minute, jede Stunde denkt er an ihn, aber er hat sich nie getraut, mit ihm zu reden.
    »Ich sehe, daß du es verstehst«, sagt Herr Patel erleichtert; einfach ist es ja nicht gerade, denkt er, als Unschuldiger in einem verdreckten Gefängnis einem stummen Jungen das Beten beizubringen.

1995
Rampur
     
     
     
    Es war schon die fünfte, die an diesem Tag klingelte. Hema lebte richtig auf, weil er in seiner Rolle als Butler tätig werden konnte, aber Charlotte war sauer auf die Frauen aus dem Club, die sich nicht an die Vereinbarung hielten, und hätte sich am liebsten im

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