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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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sich nach draußen. Eine Hand packt ihn fest an der Schulter.
    »Zurück, aber fix.« Der Polizist hebt den Knüppel.
    »Das ist der vom Kommissar.«
    »Wie? Vom Kommissar persönlich?« Der Polizist hält Madan in festem Griff, den Stock hält er ängstlich in der anderen Hand. »Knöpft ihn sich der Kommissar selbst vor?«
    »Nein, er ist schon nach Hause, übernimm du ihn ruhig.«
    »Ich?«
    »Ja, warum nicht? Einer muß der erste sein, und der Kommissar war ziemlich wütend, als er die kleine Ratte gebracht hat. Es kann also nicht schwer sein. Geh mit ihm in Zimmer drei.«
     
    Das Verhör in Zimmer drei dauert nur wenige Minuten. Der junge Polizist merkt schnell, daß Madan nicht, wie die meisten Bettler, eine Behinderung nur vortäuscht. Vertrauensvoll füllt er die Formulare aus, das ist etwas, was er gewohnt ist und sehr gut kann. Er schreibt einen langen Bericht. Madan versucht dem schreibenden Polizisten zu erklären, daß Abbas tot ist, daß er Hilfe sucht und schnell zurück muß zu seinem Freund, aber der Büttel schnauzt ihn an, daß er ruhig sein soll, also wartet Madan und blickt auf den Stift in der Hand des Polizisten. Er wünscht sich, schreiben zu können. Wenn er schreiben könnte, dann könnte er erzählen, was passiert ist.
    Mit einem tiefen Seufzer legt der Polizist schließlich den Stift weg und drückt auf jedes Blatt sechs verschiedene Stempel. Dann unterschreibt er die Dokumente mit großer Sorgfalt. Für seine Unterschrift hat er lange geübt, erst seit zwei Tagen ist er damit zufrieden und furchtbar stolz darauf. Er drückt auf einen Klingelknopf, die Tür geht auf, und sein Kollege tritt herein.
    »Na? Fertig?«
    Der junge Polizist seufzt und macht ein ernstes Gesicht, dann übergibt er den Stapel Papier. Der andere liest flüchtig den ersten Satz, schaut dann erstaunt auf Madan, um sofort weiterzulesen. »So so«, entfährt es dem Mund des Lesers, »so so so …« Als er das Dokument durchgelesen hat, legt er es auf den Tisch. »Gute Arbeit. So was nenn ich gute Arbeit.«
    Der junge Polizist strahlt vor Stolz.
    Ohne daß noch ein weiteres Wort fällt, zieht der andere Polizist Madan von seinem Hocker, schubst ihn zur Tür hinaus, durch den Flur und in einen Kleinbus – in dem auch der alte Mann sitzt, der leise weint.
     
    ***
    Ich muss raus! schreit Madan.
    »Kannst du mal das Katzengejammer abstellen«, sagt der dicke Wärter, der gerade seine Proviantdose aufgemacht hat, knurrend zu seinem Kollegen.
    Ich habe nichts verbrochen. Jemand muß zu Abbas! Er liegt da noch immer, die Hunde und Ratten werden ihn finden …!
    »Scheuer ihm doch eine«, sagt der essende Wärter.
    »Den faß ich nicht an, hinterher beißt das Viech noch.« Er ist davon überzeugt, daß der wild aussehende Junge nicht nur keine Stimme hat, sondern auch kein Gehirn.
    Ich beiße nicht, ich habe nichts verbrochen.
    »Dann nimm einen Stock, man muß sich ja vorsehen, sie haben eklige Krankheiten, alle diese Ratten.«
    Ich bin nicht krank, Abbas war krank, er ist gebissen worden, jemand muß zu ihm hin.
    »Wo stecken wir ihn hin?«
    Ich muß weg!
    »Irgendwohin, wo ich dieses Gekreische nicht hören muß, das klingt ja wie ein Schwein, das abgestochen wird.«
    »Bist du nicht Vegetarier?«
    »Ja, aber ich hab schon öfter Schweine beim Schlachten quieken hören, das klang genauso schrill.«
    Laßt mich gehen.
    »Werden bei euch Schweine gegessen?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber bring dieses Viech endlich weg, sonst vergeht mir noch komplett der Appetit.«
     
    ***
     
    Der einzige Platz, an dem die anderen ihn nicht sehen können, ist die Ecke mit dem Eimer. Ein grauer Vorhang trennt sie vom Rest der Zelle. Das Stück Stoff hatte dort zuerst nicht gehangen, aber vor ein paar Wochen hatte der alte Mann, der Herr Patel heißt, das Tuch, das einer der Männer vergessen hatte, der entlassen wurde, an den Gittern in der Ecke festgeknüpft, so daß ein kleiner Raum entstand, den er zum Beten benutzte. Eines Morgens aber stand dort der Klosetteimer, und keiner traute sich, ihn wieder zu entfernen, weil sie alle wußten, daß Ibrahim ihn dort hingestellt hatte. Also betet Herr Patel wieder an seinem alten Platz mit dem Rücken zu den anderen Gefangenen, und Ibrahim sitzt die meiste Zeit des Tages hinter dem Vorhang, nicht nur, um seine Notdurft zu verrichten.
    Madans Gedanken sind Tag und Nacht bei Abbas. Auch, wenn er nicht daran denken will, sieht er immer den Leichnam vor sich. Oft schreckt er aus dem Schlaf auf, weil

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