Warten auf den Monsun
Schlafzimmer eingeigelt. Soviel Besuch war zum letzten Mal vor vier Jahren im Haus gewesen, zum neunzigsten Geburtstag ihres Vaters. Sie hatten den Tag wie jeden anderen verbringen wollen, aber ein Strom von ehemaligen Dienstboten und anderem Personal hatte ihren Vater mit einem Besuch beehrt, in der Hoffnung auf ein Geschenk, eine Tradition, die er an seinem siebzigsten Geburtstag sehr großzügig hochgehalten hatte und die er auch an seinem achtzigsten Geburtstag noch unbedingt wahren wollte. An jenem Tag hatte Panik geherrscht – Charlotte war Dutzende Male auf den Dachboden gerannt, um etwas zu finden, was als Geschenk durchgehen konnte. Sie hatte ihren Vater dafür verflucht, daß er eine Tradition begründet hatte, die sie nicht mehr fortsetzen konnten. Beim Blick auf das leere Büfett kam ihr auf einmal der Gedanke, daß er vielleicht auch noch hundert werden würde. Sie hörte, wie Hema die Haustür aufmachte und die Besucherin bat, kurz zu warten. Er klopfte an die Tür.
»Herein.«
»Mrs. Nath ist da. Sie möchte Sie besuchen.«
»Bitte sie ruhig herein.«
Die Frau von Alok Nath, dem Goldschmied, war noch nie in dem großen Haus auf dem Hügel gewesen und schaute sich neugierig um. Charlotte hatte immer Mühe mit der Frau des Goldschmiedes, weil diese irgendwann auf die unmögliche Idee gekommen war, extrem leise reden sei schick, genauso wie wenig essen, denn dick sein fand sie ordinär.
Sie flüsterte ein paar Worte. Charlotte verstand zwar nichts, aber begrüßte die Besucherin freundlich und bot ihr eine Tasse Tee an. Der Gedanke an den Tee machte ihr Sorgen, der Vorrat, der normalerweise einen ganzen Monat reichte, war nun schon nach drei Tagen fast alle – ebenso wie der Zucker und die Milch. Außerdem hatte sie viel mehr Kekse als sonst kaufen müssen, denn zum Tee keinen Keks anzubieten war unmöglich.
Hema, der noch an der Tür wartete, dachte das gleiche, mit dem Unterschied, daß es ihm großes Vergnügen bereitete, endlich wieder einkaufen zu können. Er hatte fünf Läden aufgesucht, bevor er die richtigen Kekse gefunden hatte, und den unüblichen Luxus genossen.
Charlotte schickte ihn weg mit dem Auftrag, Tee zu kochen und dem Schneider zu sagen, daß die Frau von Alok Nath da sei.
Beim Aussprechen des Wortes »Schneider« wurde sie rot. Die Frau von Alok Nath merkte es nicht, denn in der brütenden Hitze verfärbten sich Weiße immer, sie hatte sogar schon welche mit Blasen auf der rot verbrannten Haut oder mit Hitzepöckchen gesehen. Sie selbst litt bei dieser exorbitanten Temperatur nur unter Kopfschmerzen, die durch den sich endlos wiederholenden Ruf des Kuckucks und das Gekläffe der Straßenhunde noch schlimmer wurden. Weil sie diese Laute hier im großen Haus nicht hörte, lehnte sie sich zufrieden im Sessel zurück und fragte Charlotte nach dem Befinden ihres Vaters. Charlotte dachte, sie hätte vom Wetter gesprochen, und klagte deshalb, so wie jeder, über das Ausbleiben des Monsuns und den Wassermangel im Speicherbecken. Die Frau von Alok Nath schloß daraus, daß es Charlottes Vater schlechtging und sie sich besser nicht weiter nach ihm erkundigte. Plötzlich wurde es im Zimmer dunkel.
»O nein, nicht schon wieder ein Stromausfall!«
Die Besucherin reagierte mit mißbilligendem Genuschel.
Charlotte ging tastend zum Fenster, schob den Vorhang etwas beiseite und öffnete den Fensterladen einen halben Zentimeter. Das gleißende Licht schoß durch den schmalen Spalt ins Zimmer, zusammen mit der quälenden Hitze, die wie klebriges Öl eindrang und sich um sie legte. Sie hörte, wie die Hintertür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Ihr Herz schlug schneller. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und strich sich über die Haare. Es klopfte an der Tür.
»Herein.«
Madan trat ein mit dem Stoff, der der Frau von Alok Nath gehörte. Die Wärme, die bis dahin schon fast unerträglich war, wurde mit seinem Kommen noch heftiger. Charlotte spürte, daß sich die Röte ihrer Wangen über den ganzen Körper ausbreitete.
Mit leicht gesenktem Kopf zeigte Madan ihnen den Stoff. Ich bin noch nicht soweit.
»Er ist noch nicht soweit«, sagte Charlotte, die sich am Abend zuvor fest vorgenommen hatte, nicht mehr auf die Stimme zu horchen.
Die Frau von Alok Nath wisperte wieder etwas Unverständliches.
»Was hat sie gesagt?«
Kannst du sie auch nicht verstehen? Auf Charlottes Gesicht erschien ein Lächeln.
Das rätselhafte Gemurmel ging weiter.
So undeutlich habe ich noch
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