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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Threes Anna
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geschlossenen Augen bildete sich eine tiefe Falte. In der Ferne schrie ein Pfau. Aber wenn ich sie ansehe, ihre Hände, und wie sie geht und sich bewegt, und wenn ich ihren Duft rieche, fühle ich, daß ich sicher bin, bitte sag mir, wie ich das stoppen kann, ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann, ich denke den ganzen Tag an sie, ob ich will oder nicht, sag es mir, ich will nicht weggeschickt werden, ich will hierbleiben, ich habe Angst, es ist so, als ob ich sie beschützen müßte. Madan öffnete die Augen und schüttelte den Kopf. Er stand auf und ging mit gesenktem Kopf zurück ins Küchenhaus. Nun erst nahm er das Geschrei des Pfaus wahr. Er hoffte, daß der große Vogel tanzte, denn dann würde der Monsun schnell kommen.
     
    Er füllte den Eimer am Wasserhahn, aus dem nur noch ein dünner Strahl rann. Alle Fenster des großen Hauses standen sperrangelweit offen, und nirgendwo brannte Licht. Auch im Küchenhaus herrschte völlige Ruhe. Das Plätschern des Wassers, das in den Eimer lief, wurde nur von den Tausenden Grillen übertönt, die die Kühle der Nacht nutzten, um für ihre Liebsten zu singen. Madan blickte auf das offene Fenster im ersten Stock, er versuchte, an nichts zu denken, weil er Angst hatte, daß seine Stimme, wie eine normale Stimme, im Schlafzimmer zu hören sein könnte. Er nahm den halbvollen Eimer und lief so schnell wie möglich vom Haus weg. Beim Apfelbaum blieb er stehen. Er roch an dem kahlen Stamm. Der Duft des Apfelholzes kam allmählich zurück, das beruhigte ihn.

1955
Bombay
     
     
     
    Am Ende des langen Korridors ist wieder eine Gittertür. Diesmal wird sie von einem Wärter mit auffallend schlechten Zähnen geöffnet.
    »Na, Kleiner, hast du deinen Opa abgeholt?« schmunzelt der Mann. Er lacht, und sein Mundgeruch ist noch beißender als der Gestank hinter dem Vorhang, wenn Ibrahim seine Notdurft verrichtet hatte.
    Herr Patel nimmt Madan an die Hand, sie senken den Kopf, blicken zu Boden und schweigen. Sie haben gelernt, daß sie dann weniger Schläge einstecken müssen, obwohl das bei Ibrahim keine Garantie war – wenn der etwas vermißte, brachte er es fertig, alle Männer in der Zelle nacheinander zu verprügeln. Auch die Aufseher schlugen oft hart zu, wenn sie den Metallbehälter, in dem sie das Essen brachten, nicht schnell genug zurückbekamen oder wenn der Klosetteimer überlief. Daß Madan und Herr Patel heute zusammen entlassen werden, ist eine vollkommene Überraschung. Sie hatten nach dem Verhör auf der Polizeiwache niemand anderen gesehen als ihre Mitgefangenen. Madan hatte irgendwann über einen der Wärter gehört, er habe einen Ladenbesitzer überfallen, der ein Großcousin des Kommissars sei. Herr Patel hatte ihm erzählt, er habe einen hinterhältigen Vermieter, der ebenfalls um ein paar Ecken mit dem Kommissar verwandt sei. Auch andere Männer in ihrer Zelle waren aufgrund von Streitigkeiten mit einem Verwandten von Kommissar Gandhi, ohne wirklichen Grund, im Kittchen gelandet. Nicht Ibrahim, der hatte drei Männer ermordet, die – da war er sich sicher – seiner Frau nachgestellt hatten, und er war stolz darauf.
    »Oder holt der Opa den Kleinen ab?« frotzelt der Mann weiter. Er dreht den Schlüssel um, und die eiserne Gittertür öffnet sich quietschend. »Wie soll man heutzutage noch durchblicken, als wir noch das Raj hatten, war die Sache klar, wir wußten alle, wer schuldig war und wer nicht, aber jetzt …« Der scharfe Atem schneidet ihnen ins Gesicht.
    Madan würde sich am liebsten die Nase zuhalten, aber er läßt seine Hand in der von Herrn Patel. Langsam gehen sie zur nächsten Tür. Am liebsten würde er rennen.
    Der Aufseher öffnet die große Holztür.
    Autos fahren vorbei, und ein Omnibus hupt.
    »Was ist mit meinem Geld? Bekomme ich das nicht zurück?« Herr Patel hält die Hand auf.
    Der Aufseher sieht ihn stoisch an und bläst ihm den widerlichen Geruch ins Gesicht: »Hast du ein Formular unterschrieben, als du eingeliefert wurdest?«
    »Nein, ich habe kein Formular gesehen. Aber sie haben mir mein ganzes Geld abgenommen.«
    »Dann schreib einen Brief an den Direktor, ich weiß von nichts.«
    Madan, der mit nichts als einer zerrissenen Hose gekommen ist – und geht –, zupft sacht an Herrn Patels Hand.
    Der protestiert noch einmal, aber als der Aufseher die schwere Tür zuschlägt, müssen sie nach hinten springen, um nicht eingeklemmt zu werden.
     
    Sie gehen nebeneinanderher, noch immer Hand in Hand. Der hektische Straßenverkehr

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