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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Brandt
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ich nur einen Schritt in der Kultur- und Zivilgesellschaft tun, ohne zu akzeptieren, daß die Kompetenzen der Erkenntnis, des Verstehens, der Bedienung der Apparate und der abertausend Zeichen auf immer an andere delegiert sind? Soll ich auf der Bahnfahrt den Lokführer spielen, im Flugzeug den Piloten? Soll ich die Börsendaten deuten? Soll ich selbst an meinem Kind herumdoktern, wenn es vom Baum gefallen ist? Unsinn, ich bediene mich des Verstandes anderer , jetzt und immer und in allen Verästelungen meines Lebens. Wo ist das Reservat, das mir undelegierbar, nur mir zukommt? Ist es die Addition und Subtraktion der Zahlen von 1 bis 100, den Rest mögen die Spezialisten tun, bis 100 aber bediene ich mich kühn meines eigenen Verstandes? Unsinn. Und dann: Gibt es die geringste Garantie dafür, daß ich mit meinem eigenen Verstand in diesem mir verbliebenen Schrebergarten der Selbstexistenz nicht eine heillose Verwirrung erzeuge, von Irrtum zu Irrtum stolpere und nachkurzer Zeit tot und blamiert daliege? Also lautet die Zwischenbilanz: Sapere non audere – Blamiere dich nicht und hüte dich vor den unweigerlichen Irrtümern deines eigenen Verstandes! Habe Mut, den anderen zu vertrauen, denn dir bleibt sowieso nichts anderes übrig.
    So weit, so gut. Nur: Das alles wußte Kant. Was hat ihn zu seinem vielleicht berühmtesten (wiewohl von anderen entlehnten) Satz geführt? Was wollte er? Hier beginnt die Arbeit der Textmeditation, und danach der Kritik, die über Kant hinausführt.
Griechisch
Jugend musiziert – Jugend liest Platon
    Ãœberspringen wir gleich die Klage über die Gefährdung der Geisteswissenschaften an den deutschen, vermutlich europäischen Universitäten durch die Marktorientierung von Bachelor- und Masterstudiengängen und die sog. Modulisierung der Angebote.
    Es hat wenig Sinn, jetzt für eine Neubelebung der Geisteswissenschaften im alten Stil zu kämpfen. Die Gewalt der Marktverwertung einerseits und des Dirigismus in unserer Kultusbürokratie andererseits verhindern ein geisteswissenschaftliches Solidarno ść ; die interessierten Kollegen sind in Überlebenskämpfe vor Ort verstrickt, es fehlen Vorformen gemeinsamer Aktionen, auf die man sich stützen könnte.
    Es kommen weitere Schwierigkeiten hinzu. Wer das Griechischstudium heute in der Universität oder der Öffentlichkeit verteidigt, hat schlechte Karten. Da gibt es einmal das schwer zu widerlegende Argument, daß wir über vorzügliche Übersetzungen aller lesenswerten Texte verfügen, um die anderen mögen sich Spezialisten kümmern, aber sie werden für die Übermittlung antiker Ideen nicht benötigt. Was Heraklit und Herodot, Cicero und Seneca uns zu sagen haben, kann nicht gut davon abhängen, daß man die Steilküste des Lateinischen und Griechischen hochgeklettert ist – laßt sie ihreInhalte auf Deutsch übermitteln, aber quält nicht Generation um Generation mit den Abwegigkeiten der altsprachlichen Grammatiken. Die Investition an Arbeit bis zur eigenen verständnisvollen Lektüre von Sophokles steht nach der allgemeinen Überzeugung in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Nach eigenem Bekenntnis hat die Mehrzahl der Gymnasiasten in höherem Alter alle Sprachkenntnisse vergessen; sie lesen an den langen Winterabenden weder lateinische noch griechische Texte.
    Logisch denken kann man an tausend anderen Stoffen von der Informatik bis zur Statistik lernen; zu meinen, hier käme den alten Texten ein Vorzug oder gar ein Monopol zu, ist so schief wie die Meinung, die Menschen hätten erst korrekt gedacht, nachdem die Aristotelische Logik erschienen war.
    Den sittlichen Wert kann man nicht gut geltend machen, nachdem die altsprachlichen Gymnasien viele der Ungeheuer an Ärzten in der NS-Zeit gestellt haben und die sittliche Konfusion (Carl Schmitt) oder Gleichgültigkeit (Martin Heidegger) namhafter Vertreter der altsprachlichen Kultur offenkundig ist. Weder das Griechische noch das Lateinische haben sich als Königsweg zu den Tugenden der Zivilgesellschaft erwiesen. Im Gegenteil: Bis heute nistet sich der Typ des Professors Unrat in den altsprachlichen Fächern ein; es werden die schwächeren Schüler oder Studenten gedemütigt, mit Lust und Insistenz. Dadurch wird der Unterricht für alle vergiftet.
    Wenn Griechisch, warum dann nicht auch Altägyptisch oder Akkadisch? Der von den Griechen selbst

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