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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Brandt
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der »humanities«, trifft die Wissensform besser als der falsche Glanz einer Wissenschaft, die es den Naturwissenschaften nachtun möchte und ihnen immer unterlegen ist, weil die Notwendigkeit der auf Mathematik und Experiment gestützten Erkenntnisse fehlt. Naturwissenschaftler und Mathematiker erleben zwischen zwanzig und dreißig Jahren den Höhepunkt ihrer Karriere, weil sie sich auf dem geschlossenen Schachbrett ihrer Kalküle bewegen und dort neue Einfälle haben; kein Philologe oder Philosoph kann in diesem Alter ein gutes Goethe- oder Platon-Buch schreiben; das höhere Alter kann in der Wissenschaft nicht zählen, sondern in den humanistischen Disziplinen. Der Begriff der Hermeneutik wäre passend, wenn er sich nicht gegen die Methode gewandt hätte; nur die Methode ermöglicht es, von richtigen und falschen Interpretationen zu sprechen, und die Rede von falschen Interpretationen wird man in der Hermeneutik außerhalb der Fußnoten vergeblich suchen.
    Wie immer: Die Aneignungsform der Geisteswissenschaft geschieht exemplarisch; sie geschieht in Form einer gemeinsamen Meditation über singuläre Inhalte und wendet sie nach der dem Gegenstand eigentümlichen Vernunft hin und her; daraus entsteht allmählich eine handwerkliche Vertrautheit, die als Kriterium für neue Gebiete fungiert. Abfragbares Wissen ist in den Prozeß integriert, wer nicht über das nötige Raster von Informationen verfügt, stürzt ab; das Wissen als solches steckt jedoch schon im Computer und ist entsprechend eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, sich an der Geisteswissenschaft zu beteiligen. Am Ende bleibt die Fähigkeit des Urteilens, in das vieles eingeht, was nicht dasteht, aber vom Kundigen bemerkt wird.
Bildung
    Kant in einer Vorlesungsnachschrift: » [...] von Natur sind alle Menschen Poebel, und die es jetzt nicht sind, die sind durch die bürgerliche Ordnung und Disciplin verfeinert. Würde die aber aufhören, so würde auch die Verfeinerung aufhören, und alle Menschen würden solcher Poebel sein.« Textvariante: »Wird die aber aufhören, so wird auch die Verfeinerung aufhören, und alle Menschen werden solcher Poebel sein.«
Entdecken erfinden
    Zur Erinnerung an Georg Christoph Lichtenberg
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    Â»Polynesier haben Amerika vor den Europäern entdeckt«. Wie das? Haben die Heringe Sylt vor den Holsteinern entdeckt? Und die Zugvögel das mittlere Afrika vor den Griechen? Konnten die Mongolen Alaska entdecken? Und die südamerikanischen Fischer den Humboldtstrom? Etwas zu entdecken ist eine patentierte Erfindung der Griechen, danach gibt es keine Entdeckung, die nicht als neuer Fund erkannt und öffentlich anerkannt wird, neu für uns, die Verwalter des Weltgeistes, gefunden, nicht erfunden. Deswegen ist der Ort, der per se nicht entdeckt werden kann, Athen und Umgebung (ausgenommen das Ego in der Selbsterkenntnis). Als Entdeckung gilt im festgelegten Sinn also nur, was eingetragen wurde in das Logbuch der von Griechenland und dann Europa registrierten Weltgeschichte. Da steht als Eintrag am 12. Oktober 1492: »Heute Inseln vor Indien entdeckt, gez. Christoforo Colombo aus Genova.« Ab sofort konnte jeder auf Kolumbus’ Spuren nach dem nunmehr offiziell entdeckten Amerika fahren, vorher nicht, kein Wikinger und kein Polynesier. Kolumbus konnte die Indianer entdecken, aber die Indianer nicht Kolumbus.
»Imagination can change the world«
    steht auf einem gegen die Regierung in Washington gerichteten Plakat. Der Satz ist wohl in der Meinung gefühlt und imaginiert und gedacht und geschrieben worden, irgend jemand könnte ihm widersprechen, jemand auf der anderen, auf der falschen, der Herrschafts- und Regierungsseite. Das ist nach den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts jedoch kaum möglich: Die Masse der Deutschen imaginierte in den dreißiger Jahren das Großdeutsche Reich und veränderte die Welt gründlich. Pol Pot kehrte von seinem Philosophiestudium an der Sorbonne voller Imaginationen und wirren Ideen nach Kambodscha zurück und änderte das Land bis zur Unkenntlichkeit. Die Angepaßten der Banken (freundliche Menschen) imaginieren rund um die Uhr profitable Anlagen in der Rodung des Urwalds und ändern die Welt am Kongo, am Amazonas, auf den Philippinen. »Imagination does change the world«, und aus dem Faktum folgt logisch das »can« – wer weiß das nicht?

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