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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Brandt
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eh und je den kalten und blassen Verstand und preisen den Leib und den Reichtum der Stimmung und des Daseinsgefühls, des echten, unmittelbaren, ganz ikonisch, ganz atmosphärisch, ganz echt.
    Die Reklame zielt auf die Dekonstruktion des prädikativen Menschen, um die firmenfördernde Unmittelbarkeit zu erzeugen: Überlaß dich der Gestimmtheit des Daseins, dem Erleben, in das wir dich versetzen, ist der Slogan, auf den alle Beteiligten sich einigen konnten. Zerstört die Macht der Kritik, vernichtet endlich die Verneinung und fühlt das unmittelbare Leben als solches.
Selbsterkenntnis II
    Sie wird seit den Anfängen unserer Kultur gepriesen: »Erkenne dich selbst« ist die feinste Losung, die der menschliche Geist ersann, hieß es. Das Resultat ist bei näherer Betrachtung beschämend, denn das Selbst, auf das sich unsere Erkenntnis richtet, schrumpft in seiner Selbstbetrachtung zu einem Minimum an Selbstsein zusammen: Nur die höchst kurze Gegenwart wird vom Ich besetzt, alles andere sind Projektionen dieses zeitlichen Mini-Punktes. Es ist fast ein Nichts, das sich da über seine Ränder hinaus in die Vergangenheit alles Früheren hinauslehnt und das sich nach vorne, in die Zukunft, hinüberbeugt – in der Mitte, die wir als unser reales Selbst festhalten möchten, bleibt eigentlich zwischen Vergangenheit und Zukunft nichts, nichts, denn die real existierende Gegenwart des sog. Selbst oder Ich läßt sich ins Unendliche teilen und damit nihilisieren. Mit der Einsicht in diese Katastrophe beginnt die Suche, denn etwas mehr als nichts wird es geben müssen.
»Das Entscheidende ist, daß [...]«
    Wer in kurzer Feier-Rede etwas zu Lessing, zu Arthur Schopenhauer oder Umberto Eco sagt und schreibt, verfährt am besten so, daß er einen selbstgewählten Punkt auf dem »globus intellectualis« zum eigentlichen, bisher nicht erkannten Mittelpunkt erklärt. Von diesem nach eigener Willkür deklarierten Zentrum läßt sich das komplizierte Werk des Autors ordnen und sortieren, etwa so: »Entscheidend in Lessings Werken sind nicht die gedankenreichen Argumente, nicht die vielfältigen historischen Erkenntnisse, der Idealismus, der Rhythmus seiner Sätze, das ausgewählte Vokabular, die innere Spannung seiner Theaterstücke, wie schon die Zeitgenossen meinten, nein, es ist zweifellos der nie beachtete Stil der Nebensätze . Nur in seinen wundervollen Nebensätzen kommt Lessing zu sich selbst, hier zeigt sich seine Prägnanz,die Schlegel so bewunderte und nicht zu verorten und nicht zu verstehen vermochte, hier liegt die eigentliche Kongruenz von Inhalt und Form: In den Nebensätzen! Und hierin ist Lessing der eigentliche Meister, selbst die Prosa Goethes in seinen mittleren Jahren ist Lessing unterlegen!« Von dem derart errichteten Feldherrnhügel auf der sonst homogenen Geistesfläche lassen sich harte Zensuren und Hiebe austeilen: Die gesamte Gegenwart kenne keine eigentliche Kritik mehr, alles sei ein Grau-in-Grau-Gerede ohne die Lessingsche Klarheit; man rede zwar von einer Streitkultur, aber es bleibe alles bei einem bloßen Beipflichtungsgeraune. Welch ein Meister war dagegen Lessing! Man lese endlich seine nie gewürdigten Nebensätze, um seine wahre Größe zu begreifen.
    Minutenlanger Beifall ist dem Redner sicher, denn das Publikum spürt sofort, daß diese Festtagsrede unwiderlegbar ist, daß sie einen eigenwilligen Akzent gesetzt hat, der in alle künftigen Dissertationen zu Lessing eingehen wird: Die exorbitante Wichtigkeit seiner Nebensätze! Noch beim Buffet achtet jeder auf gepflegte Nebensätze.
    Während die Menschen normalerweise ihr Sachwissen nach der Art der Jäger und Sammler, aber auch der Bauern und Kaufleute langsam sammeln, selbstkritisch auf Neues achten, um hinzuzulernen, sagen Philosophen am liebsten das Wesentliche . Ihre Ahnherren sind die Priester, die die Essenz von allem kennen, nichts hinzuzulernen brauchen, sondern ihr Wesenswissen in Bruchstücken verkünden. »Das Wesen der Aufklärung ist das Schaffott.« Auch Benjamin: »Das Wesen Neapels erfährt man nur in den engen Straßen.« Hilfreich sind auch Einzigkeitsbehauptungen, etwa: »Thomas Mann ist der einzige wirklich deutsche Schriftsteller.« »Mozart ist der letzte wirklich große Komponist.« »Hubert Burda ist der einzige unter den Lebenden, der das Wesen des Süddeutschen zum

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