Warum aendert sich alles

Ausdruck bringt.«
Mephisto
    Er kam persönlich zur Konferenz und ließ nicht, wie sonst üblich, seine Erklärung von einem Pressesprecher verlesen. Außer den Delegierten waren die Medien angereist, ein großes Spektakel, und der Konzernchef genoß es sichtlich, wieder einmal im Mittelpunkt des Interesses zu stehen – elegant, alterslos, optimistisch, ein wahrhafter Global player. Mephisto zog positive Bilanz und skizzierte die nächsten Aufgaben. Die Bilanz war beeindruckend: Immer markanter bestimmte das Radikale, für die Feinde: das Böse, die Agenda der letzten Jahre; der feste unbedingte Glaube im Orient und im Okzident. Er konnte den gemeinsamen alten Feind, die Aufklärung, zurückdrängen und in weiten Regionen mit den Wurzeln herausreißen; nur die Laien unter den Journalisten wunderten sich über diese alte Allianz Mephistos mit den Religionen gegen den gemeinsamen Erzfeind, das selbständige Nachdenken. Mit PowerPoint zeigte er, wo die Aufklärung überhaupt noch gewollt und praktiziert wird, es gebe nur noch geringen Widerstand, aber auch dort nur ziellos, sporadisch, ohne Vision. Sodann das alte Schoßkind des Teufels, der Kapitalismus, jetzt zur globalen Supermacht gewachsen. Auf die Vermarktung des Lebens folge die Zertrümmerung der Aufklärung von selbst. Um die Versammlung nicht mit Statistiken zu langweiligen, ging er auf die eklatanten Erfolge seiner Strategie im Vorderen Orient ein und zeigte, wie er dort die Aufklärung listig oder brutal mit Koran und Testament hintertrieben hätte. Am Ende langer Applaus, alle hatten das Gefühl, dem Konzern der Zukunft anzugehören: »Mach mit« stand auf dem Spruchband der Abschlußsitzung.
Fortschritt III
    Kein zivilisierter Mensch der zivilisierten Weltteile könnte einen Tag lang durch Städte der Antike, des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit gehen, ohne vor Ekel und Übelkeit ohnmächtig zu werden, vielleicht auch tot umzufallen: Die beizenden Gerüche der Gerber und Fleischer, der Kloaken in den Gassen und Nebengassen, das bestialische Geschrei der gequälten Tiere und der geschlagenen Kinder; das Bellen der Hunde und die öffentlichen Hinrichtungen, das Brandmarken und Auspeitschen der Diebe, die Geburtswehen und das Todesgewimmer, das Flehen der Blinden und Bettler, der Anblick von Verkrüppelten und Geschundenen, das alles hielte man im Kopf nicht aus. Und auch: Eltern können mit ihren Kindern nicht spielen, schon die Kleidung ermöglicht es nicht, und dann das Ritual, als homo erectus aufrecht zu stehen: Kein Vater konnte mit seinen Kindern auf dem Boden herumtollen. Dann der erzwungene Glaube an etwas, was kein Mensch je verstanden hat und was sich dessen offen rühmt: »credo quia absurdum«. Die strenge Hierarchie von oben und unten mit Verachtung und kenntnisloser Demut, und der infantile Schöpfungsglaube, die Welt eine Scheibe, die Frau Sünde und die Neugier verboten.
    Die Städte sind gereinigt, die Tiere verschwunden, die menschlichen Laute zum leisen Reden geläutert, jeder gehört sich selbst. Die Nächste bitte.
Brief aus Dubai vom 24.12.2014
    Liebe Kika,
    für Deine Grüße herzlichen Dank! Seit wir hier sind, geht alles glänzend. Die beiden Kliniken arbeiten eng zusammen, und es kommen die reichsten Menschen dieser Welt zu uns. Die Erneuerung der Körperorgane lassen wir vorangehen, sie wird meistens in kurzer Zeit vorgenommen und entfernt alle Gefahren der Krebserkrankung oder sonstiger Beschwerden;auch das Blut wird gänzlich durch frisches ersetzt. Danach führt ein Psychologe Gespräche mit dem Patienten und läßt sich erzählen, welche Erinnerungen und welche Gedanken ihm lästig sind – die seltsamsten Sachen kommen da heraus: der eine erinnert sich ungern an die Familie, die er verlassen hat, der andere an irgendwelche Geschäfte, usw. Nach dieser psychologischen Sondierung kommt der Patient zu mir und wird einer genauen Gehirntomographie unterzogen. Wir verorten dann die Zonen der unangenehmen Erinnerungen und Gedanken und legen die korrespondierenden Synapsen still. Gerade vor einem Monat ist es unserem Psychologen gelungen, viele psychische Leiden, die unsere schlauen Patienten getrennt darstellten, zu einem Syndrom zu bündeln: Es war immer die unerfüllte Sehnsucht nach Anerkennung. Unsere Großmogule aus Chicago, Tokyo und Stuttgart leiden ganz infantil an der Sucht nach