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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Brandt
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Putzleute und Pädagogen, alle treffen sich zur gemeinsamen Lektüre der Verfassung der Bundesrepublik, aber auch der Nikomachischen Ethik von Aristoteles und Kants Rechtslehre , des Kapitals von Marx, sie diskutieren abends über Fragen der Ethik und Politik in der Gegenwart und Vergangenheit. Die neue Nation bildet ein einziges Forum der Selbstaufklärung. Was heißt genau »Schuld«? Und »Kollektivschuld«? Wozu sind wir bestimmt? Mit fundiertem Urteil wird über den Unterschied zur DDR, über die Bauweise des neuen Rathauses, über die öffentlichen Bäder, das unnötige warme Duschen und die unzähligen Schulen gesprochen. Die musische Erziehung wird zur Grundlage und zur dauernden Begleitung aller Bildung für alle. Die Probleme der Erziehung sind Gegenstand der Gespräche in den Bussen und in den Geschäften. Jeder kennt die Kosten und die Folgekosten der öffentlichen Institutionen; Schulden verbietet die Verfassung. Alle wissen: Die bedeutenden Bauwerke der Geschichte überdauern Jahrhunderte und Jahrtausende, nur dann lohnt sich die Investition. Kein Gebäude einer Stadt ist größer und teurer als die Vorschulen und Schulen und Universitäten, weder die Banken noch die Hotels – Luxus gibt es nur in den Palästen, in denen gespielt, geforscht und gelehrt und von der Kindheit bis zum Alter gelernt wird. Niemand hat eine Chance in der Hierarchie der Politik, der nicht auf dem Niveau der Bürger zu denken und zu argumentieren versteht. Jeder muß seine Ansichten in guter Rede darlegen und begründen, sonst wird er ausgelacht. Wo gewartet wird, wird rezitiert, mit Kenntnis und Witz und Rede und Gegenrede und viel Gelächter. Alle finden Arbeit und Auskommen; ein notorischer Deppwird spaßeshalber Nachtwächter, denn unnütz soll keiner sein oder sich fühlen. Man behält Kapitalismus und Geldwirtschaft bei, die gesamte Republik hat jedoch nur eine Bank und ein gemeinsames Konto, auf das das erwirtschaftete Sozialprodukt eingezahlt und von dem die Regierung, die Kommunen und die Privatbürger je nach ihren Bedürfnissen Geld abheben können. Übertriebene Ausgaben von Privatleuten werden nur bei Hochzeitsreisen festgestellt und stillschweigend geduldet. Die Kirchen müssen das Land verlassen, wenn sie die Sittlichkeit von einer Offenbarung abhängig machen. Die Justiz ist milde und gerecht. Hitleranhänger verließen fluchtartig das Land; Kinderschänder wurden nach Verkündung des Urteils sogleich lebendig begraben.
    Besucher priesen die Gerechtigkeit, die Freiheit und Gleichheit. Aber die Diskussionen um die besten Schulgebäude wurden steril, der Musik fehlte der körperliche Kick, die Tugend-Tage verödeten, und die Jugend verließ das Land in Scharen, gerade die Besten. Was war falsch, was nur?
Das Böse im Großen
    Adept: »Wie, Meister, läßt sich das großflächig Böse erklären? Nicht die kleine Schäbigkeit, die grausame Mißhandlung eines einzelnen Tieres oder Menschen, der Mord des Nachbarkindes, sondern das historisch raumgreifende Böse?«
    Weiser: »Sehr gut schon einmal die Trennung, denn der großflächig Böse fällt häufig in Ohnmacht, wenn er Blut sieht und Schreie hört; im Nahbereich ist er herzensgut, er streichelt Kinder und Hunde. Umgekehrt ist der Nachbarböse ganz borniert auf das Handgreifliche, er würgt und würgt mit eigenen Händen. Aber der großflächig Böse – das schreibe auf – stützt sich immer auf allgemeine Gedanken und Bücher: Auf die Werke von Marx und Lenin, auf rassistische Pamphlete, auf die Bibel, auf die Idee, selbst auf die Idee von democracy und liberty . Die Schriften geben seiner mäßigen und dumpfen, aber extrovertierten und eitlen Seele dieeigentliche Weite, mit dem Wort, das er gläubig hört oder liest, trumpft er auf und sieht sich allen Nichtkennern und Nichtlesern unendlich überlegen. Seine ausgewählten Bücher, der Koran, das Buch der Bücher, das Neue Testament, Nietzsches Übermensch, sie stiften seine geistige Identität und geben seinen Anschauungen die Wucht des Glaubens, den andere mitglauben müssen, weil ihnen das geistige Rüstzeug zu Kritik und Zweifel und zum Nein fehlt. Der Gedanken- und Buchböse teilt nach dem, was er gehört und gelesen und verinnerlicht hat, die Welt eigenmächtig in Gut und Böse: Hier die eine Achse, dort die

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