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Warum aendert sich alles

Titel: Warum aendert sich alles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Brandt
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Notwendigkeit [ propter necessitatem ] des Imperiumszu, das Volk jedoch nimmt keinen Anteil, sondern delektiert sich an Brot und Spielen [ gaudet pane et circensibus ]. Die Philosophen des Ostens sind erschrocken über den Unterschied von Hellenen und Barbaren und den Zusammenstoß ihrer Zivilisationen.« Der Fund wird in Kürze in Fachzeitschriften veröffentlicht und kommentiert werden. Nach anderen Texten habe der Kaiser betont, man wolle derartige Maßnahmen in Zukunft einstellen, aber erst, wenn die Notwendigkeit sie nicht mehr gebiete.
Wir etwa nicht?
    Auf die Niederlande und Massachusetts und andere fortgeschrittene Staaten, auch deutsche Hansestädte und Kirchen rollt eine gewaltige Prozeßwelle zu, die von den Medien verschwiegen wird. Homo- und heterosexuelle Gruppen erheben Einspruch dagegen, daß ihnen das Eherecht verweigert wird. Das Monopol der Paar-Ehe, behaupten sie, könne nur auf die veraltete zweigeschlechtliche Zeugungs -Beziehung angewendet werden, denn zum natürlich-traditionellen Kinderzeugen seien eine Frau und ein Mann die notwendige und hinreichende Bedingung gewesen, wie auch international anerkannte japanische Wissenschaftler bestätigt hätten. Bei modernen Beziehungen falle dieses atavistische Argument für die Monogamie jedoch fort, und damit dürfe die Zahl der Ehepartner nicht mehr durch staatliche und kirchliche Gewaltmaßnahmen auf zwei Personen beschränkt werden. Steuerfragen und Rentenansprüche ließen sich leicht in Analogie zur bestehenden Gesetzgebung auf Gruppen selbst von zwanzig oder auch mehr Partnerinnen oder Partnern anwenden.
    Die protestantischen Kirchen bedauerten aufrichtig ihre Versäumnisse und wollen sich jetzt für die gleichgeschlechtlichen, aber auch heterosexuellen Gruppenehen einsetzen, ohne die Anzahl der Ehepartner noch bürokratisch festzulegen. Auch die Finanzämter signalisierten Einverständnis und steuerliche Erleichterungen: »Das läßt sich machen.«
Der Staat
    Â»Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.« So lautet der meist- zitierte Satz von Ernst-Wolfgang Böckenförde. Davor steht: »So stellt sich die Frage nach den bindenden Kräften von neuem und in ihrem eigentlichen Kern.« Der vor-säkularisierte Staat hatte diese Bindekräfte im kirchlich verfaßten Glauben, und seit dem Geständnis des Staats, eben dieser fehle ihm, klafft nach Böckenförde in den Voraussetzungen des Lebens des Staats eine Garantielücke, alles »im eigentlichen Kern«. Die nähere Reflexion führt in zwei Richtungen. Einmal konnte der Glaubensstaat essentielle Voraussetzungen, von denen er lebte, nicht garantieren. Karl V. konnte bei den immensen Krediten, die ihm das Finanzhaus Fugger gewährte, nicht garantieren, daß er die Schulden zurückzahlen würde – die Absetzung des Kaisers, das Auswuchern des Protestantismus, das Ende des Goldraubs in Südamerika, sie hätten alle schriftlichen Garantien vom Tisch gefegt. Zum anderen ist die Aussage in ihrem Kontext verfassungswidrig: Der säkularisierte Staat kann seine Bindekräfte nicht mehr vom Glauben ausleihen, sondern soll sie selbst herstellen; die Schulen und die Hochschulen, die Aufklärung in Permanenz, die Freisetzung kultureller Kräfte bis in jeden kargen Winkel der Republik, die öffentliche Reflexion über die Republik, die Funktion der Parteien und die Erhitzung der Gemüter über mangelnde Gerechtigkeit: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst erstellen und – im Rahmen des irdisch Möglichen – garantieren muß.« Die Kultur der paganen Vernunft zielt nicht auf pure Lust (»eudaimonistische Erwartungen«), sondern auf von Lust begleitete Selbstverwirklichung; die praktizierte Mündigkeit der Bürger ist wiederum eine Voraussetzung der Demokratie und daher höchstes Staatsziel, auch da, wo der Staat die politische Kultur der Zivilgesellschaft, die ihn ermöglicht, nur stimulieren kann.
Warum nicht?
    Warum gab es nach und neben dem Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre nicht ein Geistesoder Bildungswunder? Man denke an die Möglichkeit, daß alle Bundesbürger Bildungskurse besuchen; die Volkshochschulen sind überfüllt, alle, die Arbeiter und Bauern, die Angestellten und Germanisten, die Politiker, die

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